Cleanstate

            CLEANSTATE

Für Recht und Gerechtigkeit in Politik, Staat und Wirtschaft




Startseite

CleanState e.V.

über uns

Leitbild / Ziele

Aktionen

Presse

Satzung

Unterstützung

Kontakt

Impressum

    

    Links

 Deutscher Richterbund

 Neue Richtervereinigung

 Business Crime Control

 Europäische Kommission

 OLAF Europäisches Amt
 für Betrugsbekämpfung

 Whistleblower-Netzwerk e.V

   



 zurück                  Bananenrepublik in Sichtweite    PDF als PDF herunterladen    



Bananenrepublik in Sichtweite

Von Norbert Schlepp*, Porta Westfalica

Nach Art. 20 unserer Verfassung ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Sie hat 3 Staatsgewalten, die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Die Teilung der Staatsgewalten ist erforderlich, um eine überbordende Macht des Staates gegenüber dem Einzelnen zu verhindern. Der Rechtsprechenden Gewalt kommt dabei die Aufgabe zu, den Einzelnen vor Machtmissbräuchen des Staates zu bewahren. Deshalb garantiert unsere Verfassung in Art. 19 Abs. 4, „wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht im der Rechtsweg offen“. Dieses Schutzes bedürfen insbesondere die Kleinen, die Schwachen, die Minderheiten. Die Mächtigen in diesem Staat verstehen es dank ihrer Macht, ihre Interessen auch ohne fremde Hilfe durchzusetzen. Die Richter können diese Schutzaufgabe jedoch nur dann erfüllen, wenn sie von den anderen Staats­gewalten unabhängig sind (so ausdrücklich Art. 97 GG). Das war in der Vergangenheit und ist auch heute leider nicht immer der Fall. Ein besonders bedrückendes ja skandalöses Beispiel aus den 90er Jahren zeigt, dass die Staatsgewalten nicht immer die nötige Trennung voneinander aufweisen, dass die Exekutive – also Regierung und Verwaltung – die anderen Staatsgewalten in den Hintergrund drängt und dass die Gerechtigkeit im Einzelfall dabei auf der Strecke bleibt. Es erscheint mehr denn je dringender geboten, den Machtauswüchsen der Regierenden Einhalt zu gebieten.

 
Zur Vorgeschichte

Zwischen 1945 und 1949 fand im Gebiet der späteren DDR unter der Bezeichnung „demokra­tische Bodenreform“ eine umfangreiche Landenteignung statt[1]. Den Betroffenen wurde ohne jede Entschädigung ihr Grundbesitz entzogen, und zwar restlos mit allem darauf befindlichen Vermögen, sie wurden vertrieben, binnen weniger Stunden mussten sie Haus und Hof verlassen, wurden aus der Gemeinde verwiesen und durften sich nicht näher als 50 km dem Ort der Enteignung annähern. Wer sich widersetzte, wurde verhaftet, viele kamen in der Haft ums Leben. Ein rechtsstaatliches Verfahren gab es nicht. Der Grund für diese Enteignungen lag nicht etwa darin, ehemalige Nationalsozialisten und deren Sympathisanten zu verfolgen, vielmehr sollte  eine neue sozialistische Gesellschaftsordnung geschaffen werden, in der für privates Grund­vermögen kein Platz mehr war. Bis zum Jahre 1948 waren etwa 40 % aller Industriebetriebe und 20 % aller Handwerksbetriebe entschädigungslos enteignet[2]. Darunter befand sich auch das bekannte Pharmaunternehmen Madaus in Radebeul bei Dresden, das 1947 mit der wahnwitzigen Begründung konfisziert wurde, mit der Herstellung von pflanzlichen Pharmazeutika sei man kriegsverbrecherisch tätig geworden[3]. Darüber hinaus waren unter den Enteigneten nicht wenige, die zum Widerstandskreis des 20. Juli gehörten und die zunächst unter den Nazis um ihr Leben fürchten mussten und bald darauf von den Nachfolgern der Nazis um ihr Vermögen gebracht wurden. Durchgeführt wurden die Enteignungen nicht von der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern von deutschen Behörden, allerdings unter den Augen und mit Billigung der sowjetischen Militäradministration. Das enteignete Land ging vollständig in staatlichen Besitz über. Die enteigneten Ländereien gehörten auch dann noch zum Staatseigentum der DDR, als es im Jahre 1990 zur Wiedervereinigung kam.

 

Wiedervereinigung

Ich brauche nicht zu erläutern, dass jene Enteignungen nach den Maßstäben unseres Rechts­verständnisses willkürliches Unrecht waren. Nach Art. 14 unserer Verfassung ist der Staat verpflichtet, das Eigentum seiner Bürger zu respektieren und zu schützen. Enteignungen dürfen nur in engen Grenzen durchgeführt werden und überhaupt nur dann, wenn dafür eine Ent­schädigung entrichtet wird, die sich am Wert des Vermögens orientiert. Art. 14 GG gehört zu den Grundrechten unserer Verfassung und ist ein fundamentaler Pfeiler unseres Staatswesens. Man sollte daher meinen, dass der bundesdeutsche Rechtsstaat im Zuge der Wiedervereinigung alle Anstrengungen unternommen hätte, um das geschehene Unrecht wieder gutzumachen, um den Enteigneten ihren Grundbesitz wieder zu beschaffen oder ihnen wenigstens eine ange­messene Entschädigung zukommen zu lassen. Weit gefehlt! Der enteignete Grundbesitz, einst Staatseigentum der DDR, ging mit der Wiedervereinigung nahtlos in das Staatseigentum der Bundesrepublik über! Als Gegenleistung für diesen Vermögenszuwachs zahlte der Rechtsstaat Bundesrepublik den Alteigentümern später eine Abfindung zwischen 1 – 3 % des Verkehrswertes der Grundstücke[4]. Damit erhielt der Staat die Grundstücke gleichsam zum Nulltarif.

 

Und das kam so:

Nach dem Fall der Mauer im November 1989 näherten sich die beiden deutschen Staaten schnell  mit dem Ziel einer Wiedervereinigung einander an. Bei dieser Annäherung erhoben die beiden letzten Regierungen der DDR unter den Ministerpräsidenten Modrow und de Maizière die Forderung, die Landenteignungen zwischen 1945 – 1949 nicht rückgängig zu machen. Zur Begrün­dung verwiesen sie auf mögliche soziale Unruhen unter denen, die von der DDR  Nutzungsrechte[5] an den enteigneten Grundstücken erworben hatten. Dass die Regierungen der DDR bei den Ver­handlungen über die Annäherung, später über die Wiedervereinigung überhaupt noch Forde­rungen erhoben, war an sich schon bemerkenswert. Die politische und wirtschaftliche Lage der DDR war desolat. Die Bevölkerung lief massenhaft in den Westen über[6], der politische Druck nach einem sofortigen bedingungslosen Anschluss an die Bundesrepublik wurde immer größer, die Wirtschaft war ohne die Hilfe des Westens nicht überlebensfähig. Der Niedergang und Zusam­menbruch des Regimes waren nicht mehr aufzuhalten. Vor diesem Hintergrund besaß die DDR eine echte Verhandlungsposition, aus der heraus man hätte Forderungen stellen können, nicht mehr. Dennoch stieß die Forderung der DDR-Verhandlungspartner auf wenig Gegenwehr bei den Verhandlungsführern der Bundesrepublik. Eine Restitution, also eine Rückgabe der Grundstücke an die Alteigentümer, sei – so die damalige bundesdeutsche Einschätzung – schon wegen der Viel­zahl der Fälle unmöglich[7]. In einer ersten „Gemeinsamen Erklärung“ beider deutschen Staaten vom 15. Juni 1990 erklärte die Bundesrepublik, dass sie sich mit der DDR darin einig sei, dass die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 nicht mehr rückgängig zu machen seien. Sie – die Bundes­republik – nehme das im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Eine Entscheidung über eine staatliche Ausgleichsleistung bleibe aber einem künftigen gesamtdeutschen Parlament vorbehalten[8]. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen zielte die DDR darauf ab, die Ergebnisse der Landenteignungen nach einer Wiedervereinigung durch eine Änderung des Grundgesetzes abzusichern. Das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 der Verfassung sollte eingeschränkt werden. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass Alteigentümer nach der Wiedervereinigung durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ihre einstigen Grundstücke mit dem Hinweis darauf, dass die Enteignungen verfassungswidrig seien, aus dem Staatsbesitz zurückerhielten[9]. Auch dazu erklärten sich die Verhandlungspartner der Bundesrepublik bereit, wobei sie die Alteigentümer für die Enteignungen – wie in Art. 14 unserer Verfassung vorgesehen -  zunächst noch entschädigen wollten. Allein – der damalige Innenminister Schäuble strich das Wort „Entschädigung“ aus dem Text des vorbereiteten Vertrages und ersetzte es durch das Wort „Ausgleichsleistung“. Später rühmte er sich in einem von ihm verfassten Buch, dass der der Bundesrepublik damit viele Milliarden D-Mark an Entschädigungen erspart habe[10].

 

Als die CDU/CSU geführte Bundesregierung ihr Verhandlungsergebnis im Parlament vorstellte, geschah unglaubliches. Bereits in der eigenen Fraktion des CDU/CSU regte sich Widerstand. Viele Parlamentarier wollten die Festschreibung der Enteignungen nicht mittragen, sie sahen darin einen Bruch des Eigentumsgrundrechtes in Art. 14 des Grundgesetzes. Sie forderten eine Rückgabe des konfiszierten Eigentums, mindestens aber eine angemessene Entschädigung. Schäuble beruhigte daraufhin die Empörten, er erklärte, auch für ihn sei das Verhandlungs­ergebnis unbefriedigend, es sei aber nicht abzuwenden gewesen, weil die Sowjetunion darauf bestanden habe. Bundeskanzler Kohl schaltete sich ein und bestätigte, dass die Sowjetunion den Fortbestand der Landenteignungen zu einer Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht habe. Daraufhin gaben die Parlamentarier ihre Vorbehalte auf. Sie stimmten dem ausgehandelten Ver­tragswerk zu. 112 mutige Abgeordnete gaben jedoch eine Protesterklärung zu Protokoll in der sie bekundeten, dass sie die Festschreibung der Enteignungen zwischen 1945 – 1949 als Unrechts­maßnahme ablehnten. Sie widerspreche dem Grundgesetz, das sich von dem Grundsatz leiten lasse, nie wieder dürfe Macht vor Recht gehen. Auf altes Unrecht dürfe kein neues folgen. Wenn sie gleichwohl dem Einigungsvertrag zustimmten, dann nur deshalb, um die deutsche Wieder­vereinigung nicht zu gefährden[11]. Daraufhin trat der Einigungsvertrag mit der DDR und die darin enthaltenen Billigung der Ergebnisse der Bodenreform in Kraft. Das Grundgesetz wurde geän­dert. In Art. 143 Abs. 3 wurde das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 für die Eingriffe durch die Bodenreform zwischen 1945 – 1949 ausdrücklich eingeschränkt. Nach Abschluss des Gesetz­gebungsverfahrens trat Bundeskanzler Kohl am 30. Januar 1991 vor den Bundestag und die laufenden Fernsehkameras und erklärte, er bedauere das, was den Opfern der Landenteignungen widerfahren sei. Die Bundesregierung habe das jedoch nicht verhindern können. Kohl wörtlich: „Ich weiß – ich denke, jeder von uns weiß, dass der endgültige Verlust von Eigentum viele Menschen hart trifft, denn es geht um mehr als um einen bloßen Vermögensgegenstand. Dies gilt vor allem für jene, die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungs­hoheitlicher Grundlage enteignet wurden. Für die Betroffenen war eine andere Lösung in den schwierigen Verhandlungen des vergangenen Jahres nicht zu erreichen. Der Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 und 1949 wurde von der Sowjetunion zu einer Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht. Ich sage klar: Die Einheit durfte an dieser Frage nicht scheitern“ [12].

 

Das Bundesverfassungsgericht

Einige der betroffenen Alteigentümer gaben sich damit nicht zufrieden. Sie erhoben Verfas­sungsbeschwerden[13]. Die Verhandlung vor dem BVerfG fand im Januar 1991 unter der Leitung von Roman Herzog statt und Herzog führte die Verhandlung zügig und schnell. Während man sonst schon mal mehrere Jahre auf eine Entscheidung des BVerfG warten muss, brachte Herzog das Verfahren über die Verfassungsbeschwerden in nur 4 Monaten zu einem Ende. Er ließ sich von den Staatssekretären Kastrup und Kinkel[14] den Ablauf der Verhandlungen der sog. 2 + 4 Ge­spräche über die Wiedervereinigung schildern, wobei beide bekundeten, sowohl die DDR als auch die Sowjetunion hätten den Fortbestand der Landenteignungen zur Bedingung gemacht. Für die Bundesregierung sei aber nicht die Forderung der DDR, sondern die der UdSSR das Entschei­dende gewesen[15]. Eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes dieser Aussagen fand nicht statt. Daraufhin wurden die Verfassungsbeschwerden abgewiesen mit der Begründung, dass eine Verletzung des Eigentumsgrundrechtes aus Art. 14 nicht vorliege, weil dieses Recht durch die Verfassungsänderung in Art. 143 eingeschränkt sei. Die Verfassungsänderung selber sei rechtens, weil die Sowjetunion auf einem Fortbestand der Bodenreform bestanden habe und ohne sie die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen wäre[16].

 

Die Wahrheit

Nachdem der erste Freudentaumel über die Wiedervereinigung verklungen war und nach dem Rausch wieder die Ernüchterung einkehrte, begannen einige kritische Geister nachzudenken. Sie fragten sich, welches Interesse die Sowjetunion wohl daran gehabt haben könnte, die Land­enteignungen zwischen 1945 – 1949 festzuschreiben. Musste es der Sowjetunion nicht viel mehr völlig egal sein, was der wiedervereinigte gesamtdeutsche Staat mit dem enteigneten Grund­besitz machte, ob er ihn zurückgab oder ob er die betroffenen Eigentümer entschädigte? Und warum gerade sollten die zwischen 1945 – 1949 enteigneten Ländereien davon betroffen sein, die später nach 1949 durchgeführten weiteren Enteignungen aber nicht? Man fand auf diese Fragen keine Antwort! Später traten einige Journalisten mit diesen Fragen an Michail  Gorbatschow, den damaligen Präsidenten der Sowjetunion, heran. Die Antwort wirkte wie ein Schock: Zu keiner Zeit – so Gorbatschow - habe die Sowjetunion den Fortbestand der Landenteignungen zu einer Bedingungen für die Wiedervereinigung gemacht. Man habe bei den Gesprächen über die Wieder­vereinigung überhaupt gar nicht über die Landenteignungen geredet. Wie das wiedervereinigte Deutschland mit den beschlagnahmten Ländereien verfahre, sei allein eine innerdeutsche Ange­legenheit, an der die Sowjetunion kein Interesse gehabt habe[17]. Gorbatschow hat die Aussage später mehrmals wiederholt[18]. Auch sein damaliger Außenminister Eduard Schewardnadse hat bekundet, bei den Wiedervereinigungsgesprächen niemals über die Landenteignungen durch die Bodenreform gesprochen zu haben[19]. Eine Wiedervereinigungsbedingung habe es nicht gegeben. Inzwischen hat auch Günther Krause[20], damals Delegationsleister der DDR in den Gesprächen über „offene Vermögensfragen“, eidesstattlich versichert, dass die Sowjetunion zu keiner Zeit den Fortbestand der Landenteignungen verlangt habe[21].

 

Wie die deutsche Bundesregierung angesichts dieser Aussagen zu der Behauptung kam, die Sow­jetunion habe den Beibehalt der Enteignungen zur Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht, bleibt ihr Geheimnis. Helmut Kohl hat Interviews zu dieser Frage abgelehnt. Es gilt heute als sicher, dass die Aussagen der Bundesregierung über die behauptete Vorbedingung zur Wieder­vereinigung falsch waren, dass die 112 Bundestagsabgeordneten, die ihre Zustimmung zum Einigungsvertrag und zur Grundgesetzänderung zunächst verweigern wollten, durch eine Täuschung zur Zustimmung veranlasst wurden und dass ein Teil unseres heutigen Grundgesetzes auf dieser Täuschung beruht.

 

Die Rolle Roman Herzogs

Doch nicht nur auf die Bundesregierung fällt ein beschämendes Licht. Das BVerfG als eigentlich unabhängige dritte Staatsgewalt hat die Aufgabe, die verfassungsmäßige Ordnung zu wahren und den Bürger vor rechtswidrigen Eingriffen durch die anderen Staatsgewalten zu schützen. In dieser Aufgabe hat das BVerfG versagt. Man hat den Eindruck, dass der damalige Gerichts­präsident Herzog seine Rolle als Vertreter einer unabhängigen Gewalt aufgegeben und sich frei­willig dem Interesse der Bundesregierung untergeordnet hat. Diesen Eindruck gewinnt man nicht nur aus dem Umstand, dass in der mündlichen Verhandlung die Aussagen der Staatssekretäre Kastrup und Kinkel vom Gericht unkritisch übernommen und zur Grundlage der Entscheidung gemacht worden sind, sondern und vor allem aus dem Umstand, dass Roman Herzog überhaupt über die Verfassungsbeschwerden entschieden hat. Wie nämlich leider erst später bekannt wurde, hat Herzog die DDR in den Gesprächen über die deutsche Wiedervereinigung juristisch beraten. Die Beratung fand am 4. Juli 1990 vor Mitgliedern der Volkskammer statt[22]. Indizien deuten darauf hin, dass Herzog den DDR-Politikern bei dieser Beratung empfohlen hatte, auf einer Änderung des Grundgesetzes zu bestehen, um die Enteignungen endgültig abzusichern. Dies jedenfalls wird von Teilnehmern eines Kolloquiums in Speyer berichtet, vor denen Herzog im Jahre 1993 einen Vortrag über die Rechtsprechung des BVerfG gehalten hatte. Dabei hat er selbst die seinerzeit noch gar nicht in der Öffentlichkeit bekannte Beratung erwähnt und auch von der Sorge einiger Abgeordneten nach einer rechtlichen Absicherung der Bodenreform. Er, Herzog, habe daraufhin geraten, die Bodenreform im Grundgesetz abzusichern[23]. Damit hat Herzog in den Verfassungsbeschwerden über eine Grundgesetzänderung entschieden, die er nach dem Inhalt seines Vortrags in Speyer selbst empfohlen hatte! Jeder andere Richter hätte sich bei diesem Sachverhalt als befangen abgelehnt oder wäre von den Prozessparteien als befangen abgelehnt worden, wenn die Volkskammerberatung seinerzeit bekannt gewesen wäre. Damit wäre er von einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden ausgeschlossen gewesen. Herzog hat seine Beraterrolle damals jedoch nicht offenbart.

 

Möglicherweise hat Herzog zusätzlich auch noch die Bundesregierung beraten. Jedenfalls hat es am 31. Juli 1990, wenige Wochen nach der Beratung der DDR-Volkskammer, ein Zusammen­treffen Herzogs mit den bundesdeutschen Verhandlungsführern Schäuble und Kinkel gegeben[24]. Über den Inhalt dieses Gespräches ist allerdings nichts bekannt geworden. Bekannt ist jedoch, dass Schäuble seinerzeit von der Sorge umtrieben wurde, der Fortbestand der Ergebnisse der Bodenreform könne durch eine Flut von Klagen gefährdet werden. Es bedarf daher wenig Phantasie, anzunehmen, dass sich Kinkel und Schäuble in diesem Gespräch gemeinsam mit Herzog um eine verfassungsmäßige Absicherung der Bodenreform bemüht haben.

 

Zu denken gibt auch die Art und Weise, wie das BVerfG die Staatssekretäre Kastrup  und Kinkel vor einer strafrechtlichen Verfolgung geschützt hat. Nachdem die Behauptung, die Sowjetunion habe den Fortbestand der Landenteignungen zur Bedingung für eine Wiedervereinigung gemacht, nicht mehr aufrecht zu halten war, haben die von der Bodenreform Betroffenen Strafanzeige wegen uneidlicher Falschaussage vor dem BVerfG gestellt. Die dafür zuständige Staatsanwalt­schaft hat das Verfahren jedoch mit der Begründung eingestellt, strafbar sei nur die falsche Aussagen eines Zeugen, Kastrup und Kinkel seien vom BVerfG aber nicht als Zeugen vernommen sondern als Amtspersonen angehört worden[25]. Pikanterweise hat das BVerfG den beteiligten Rechtsanwälten im späteren Kostenfestsetzungsverfahren jedoch eine Beweisgebühr für eine Zeugenvernehmung zugebilligt. Diese Entscheidung wurde jedoch erstaunlich spät, erst am 15. Juli 1997 – mehr als 5 Jahre nach den Aussagen – getroffen[26]. Zu der Zeit war der Straf­tatbestand der uneidlichen Falschaussage soeben verjährt, sodass eine erneute Strafverfolgung nun nicht mehr in Betracht kam.

 

Das Motiv

Während die Behauptung, die Sowjetunion habe den Fortbestand der Landenteignungen zu einer Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht, heute als widerlegt gilt, liegt das Motiv für die von der Bundesregierung behaupteten Unwahrheiten weiterhin im Dunkeln. Constanze Paffrath, die mit ihrer Dissertation[27] den Skandal wissenschaftlich aufgearbeitet hat, hat eine Vermutung. Sie sieht die Falschbehauptungen im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf im Jahre 1990. Anders als Kohl habe Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidat der Opposition damals der Wiedervereinigung skeptisch gegenüber gestanden. Er habe auf die Kosten einer möglichen Wiedervereinigung verwiesen und die Auffassung vertreten, dass Steuererhöhungen für die Bundesbürger unvermeidlich seien. Dieser Einschätzung habe Bundeskanzler Kohl widersprochen, er habe die Wiedervereinigung zum Nulltarif propagiert und hat damit – wie wir wissen - in der Folge tatsächlich auch die Wahl gewonnen. Um nun die Kosten der Wiedervereinigung ohne Steuererhöhungen abzudecken, so vermutet Paffrath, seien der Bundesregierung die Land­enteignungen gerade recht gekommen. Der Verkauf dieses Vermögens habe als Geldquelle zur Finanzierung der Wiedervereinigung dienen sollen.

 

Man fühlt sich unweigerlich an die These des Parteienkritikers von Arnim erinnert, der bekanntlich bekundet hat, eine politische Partei sei keine Gruppe von Menschen, die das Wohl des Volkes fördern wolle. Ihr höchstes Ziel bestehe vielmehr darin, an die Macht zu gelangen oder an der Macht zu bleiben. Je nach dem, wie man glaube, dieses Ziel erreichen zu können, verhalte man sich mal so oder auch anders[28].

 

Fazit

Die Vorgänge um die Landenteignungen sind so beschämend, dass mir die Worte dafür ausgehen. Halten wir fest: Da werden Deutsche rechtswidrig enteignet und der Rechtsstaat Bundes­republik unternimmt nichts dagegen, er gibt den Grundbesitz den Enteigneten nicht zurück, obwohl er das Unrecht der Enteignungen erkennt, er behält das Enteignete vielmehr für sich und verscherbelt es, um die Staatskasse aufzufüllen. Genau so verhält sich ein Hehler und so hat denn auch das Kammergericht in Berlin im Jahre 2000 folgerichtig erkannt, dass man den Bund deswegen straflos als Hehlerstaat bezeichnen dürfe[29]. Da kommt eine Bundesregierung, die das Parlament und die Bevölkerung täuscht – um nicht zu sagen belügt -, nur um wiedergewählt zu werden. Ein Teil unserer heute geltenden Verfassung beruht auf eben dieser Täuschung und ist erschlichen. Und dann kommt schließlich auch noch das höchste Gericht dieses Rechtsstaates, das den Grundsatz der Gewaltenteilung freiwillig aufgibt, sich zu einer Allianz mit der Bundes­regierung zusammenfindet und seiner Schutzaufgabe gegenüber dem Bürger nicht gerecht wird. Ob Roman Herzogs Wahl zum Bundespräsidenten im Jahre 1994, die auf Vorschlag des Bundes­kanzlers Kohl stattfand, als Dankesschuld im Zusammenhang mit der Prozessführung über die Landenteignungen steht, mag jeder für sich selbst beantworten.

 

Soweit kann es kommen, wenn die Gewaltenteilung nicht mehr stattfindet. Wir brauchen deshalb dringend eine wirklich unabhängige Justiz, die den Schneid hat, Regierung und Verwaltung ihre Grenzen aufzuzeigen.

 

Ich habe einem Kollegen unlängst von den Ereignissen über die Landenteignungen berichtet, der sie bisher noch nicht kannte. Sein Fazit: Wenn das stimmt, dann sind wir ja eine Bananenrepublik! Ich habe ihm nicht widersprechen können.

 

*Norbert Schlepp ist Richter am Finanzgericht Niedersachsen



Lesen Sie auch:

Die Abhaengigkeit unserer Justiz -
"Schliesslich ist Deutschland inzwischen doch auch eine Demokratie..."

http://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdfarchiv/bund/2008-zfdd-1-unabhaengige-justiz.pdf


____________________________

[1] zu den vielfältigen Einzelheiten der Enteignungen siehe Eppelmann-Möller-Nooke-Wilms, Lexikon des DDR-Sozialismus, 2. Aufl. 1997; Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder; Schroeder, Der SED-Staat, Partei, Staat und Gesellschaft 1949 – 1990; Fricke-Märker, Enteignetes Vermögen in der Ex-DDR; von Kruse, Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“ in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands; von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 – 1949

[2] Graf zu Dohna, Die Kommunistische Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (1945-1949), zitiert aus Paffrath, Macht und Eigentum, Seite 64

[3] so Udo Madaus in persönlichen Gesprächen mit dem Autor

[4] so etwa die Auswirkungen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes (EALG) nach Einschätzung von Prof. Theodor Schweisfurth, Heidelberg, 06. 07. 2001. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hält das EALG in seiner Mehrheitsentscheidung vom 22. 11. 2000 – 1 BvR 2370/94 – gleichwohl für verfassungsgemäß und verweist dazu u. a. auf die Haushaltslage des Bundes. Kritiker dieser Entscheidung – darunter Schweisfurth, zitiert aus Madaus, Wahrheit und Recht, S. 616 ff - sprechen seit dem von einem „Recht nach Kassenlage“. Ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie liegt nach Einschätzung des BVerfG nicht vor – zu den Hintergründen dieser Rspr. siehe die nachfolgenden Ausführungen

[5] Die DDR verpachtete die enteigneten Ländereien nur zum vorübergehenden Gebrauch. Bis zur Wende verschaffte sie ihren Nutzern keine Eigentumsrechte – Paffrath, Macht und Eigentum, Seite 56

[6] Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres 1990 verließen 137.000 Menschen die DDR – Grosser, Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Geschichte der deutschen Einheit, Band 2, Seite 129

[7] Grosser, Das Wagnis der Währungs- Wirtschafts- und Sozialunion, Geschichte der deutschen Einheit, Band 2 Seite 237

[8] Stern-Schmidt/Bleibtreu, Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit, Bd. 2, Einigungsvertrag und Wahlvertrag, S. 823 ff

[9] So der damalige Ministerpräsident der DDR de Maizière bei der ersten Lesung des Einigungsvertrages vor der Volkskammer der DDR in Protokolle der Volkskammer der Deutschend Demokratischen Republik, 10. Wahlperiode Bd. 3, Protokolle der 26 – 38 Sitzung

[10] Schäuble, Der Vertrag, Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, Seite 255 ff.

[11] Erklärung der Abgeordneten von Schmude, Dr. Olderog, Engelsberger, Dörflinger, Kroll-Schlüter, Würzbach u. a Abgeordnete aus den Reihen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Verh. BT, 11. Wahlperiode, Stenographischer Bericht S. 17931 ff., 17935. und 17948

[12] Bundespresse- und Informationsamt der Bundesregierung vom 31. Januar 1991

[13] z. B. Familie Madaus, das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1459/90  geführt. Weitere Verfahren: 1 BvR 1170/90, 1 BvR 1174/90, 1 BvR 1175/90

[14] Klaus Kinkel, zu der Zeit Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, war seinerzeit Delegationsleiter der Bundesrepublik bei den „Expertenberatungen“ der „offenen Vermögensfragen“ und damit an exponierter Stelle an den Verhandlungen über den Fortbestand der Enteignungen beteiligt. Kinkel ist später als Bundesaußenminister einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden.

[15] Aussage vom 22. 01. 1991

[16] Entscheidung vom 23. 04. 1991

[17] Interview Michail Gorbatschow mit Prof. Norman Stone (Oxford) am 5. 07. 1994, abgedruckt bei Paffrath, Macht und Eigentum, Seite 320; Madaus, Wahrheit und Recht, S. 687

[18] z. B. Interview Süddeutsche Zeitung vom 06. 09. 1994

[19] Spiegel TV Interview vom 04. 09. 1994, ausgestrahlt in RTL, zitiert aus Paffrath, Macht und Eigentum S. 320;

[20] in dieser Position war Krause der Verhandlungspartner von Kinkel auf bundesdeutscher Seite. Krause wurde später Bundesverkehrsminister

[21] eidesstattliche Versicherungen vom 10. 01. 1999 und 28. 10. 1999, zitiert aus Paffrath, Macht und Eigentum S. 321; Madaus, Wahrheit und Recht S. 553. Krause wurde vom BVerfG übrigens nicht vernommen

[22] Protokoll der 12. Sitzung des Ausschusses für Verfassungs- und Verwaltungsreform der Volkskammer Az. 0065-06/01

[23] Der Teilnehmer an dem Kolloquium, der den Vortrag Herzogs gehört und mitgeschrieben hat, ist namentlich bekannt. Er hat darüber in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. November 1993 berichtet. Herzog selber hat bestritten, diesen Ratschlag erteilt zu haben (Focus 21/1994). Er hat allerdings eingeräumt, sich so ausgedrückt zu haben, dass bei dem einen oder anderen Gesprächspartner der Gedanke an die spätere Grundgesetzänderung entstanden sein könnte – Handelsblatt vom 19. Januar 1994.

[24] Dieses Treffen fand in Karlsruhe am Sitz des BVerfG statt und ist unter der Bezeichnung „Hubschrauberflug“ bekannt geworden, weil sich Schäuble und Kinkel mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe begeben hatten

[25] Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, bestätigt vom OLG Stuttgart – zitiert aus Madaus, Wahrheit und Recht, S. 578

[26] Az. 1 BvR 1174/90, NJW 1997, 3430, ergangen zur Vernehmung von de Maizière, der zusammen mit Kinkel und Kastrup gehört wurde

[27] Constanze Paffrath, Macht und Eigentum, 2004

[28] Hans Herbert von Arnim, Fetter Bauch regiert nicht gern, S. 55 unter Bezugnahme auf Joseph Schumpeter

[29] Entscheidung vom 19. Dezember 2000, 9 U 7933/00



Bananenrepublik in Sichtweite