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Festvortrag Universität Trier


Dr. Wolfgang Hetzer
European Anti-Fraud Office (OLAF)
B-1049 Brussels, Rue Joseph II 30
Phone: +32 2 299 49 92
GSM  : +32 498 99 49 92
wolfgang.hetzer@ec.europa.eu



Magnifizenz, Spektabilitäten, liebe Absolventinnen und Absolventen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich bedanke mich für die ehrenvolle Einladung. Deren Annahme ist mir nicht leicht gefallen. Meine Erfahrung als „Festredner“ ist sehr begrenzt, eine holprige Rhetorik mithin unvermeidlich. Ihre freundliche Aufnahme wird mir hoffentlich darüber hinweghelfen. Es ist nicht nur ein gewisses Schamgefühl oder die Furcht vor der eigenen Unzulänglichkeit, die mich zögern ließen. Sie erwarten nach all den Anstrengungen, denen Sie sich so erfolgreich unterzogen haben, mit Recht eine anerkennende, versöhnliche, harmonische, ermutigende, wehmütige, freundliche, konstruktive, ausgewogene, verbindliche und kultivierte Ansprache.

Nichts davon werden Sie bekommen!

Ich weiß wohl, dass eine Festrede vor allem festlich sein soll. Die „Evidenz der Feierlichkeit“ verhindert zumeist die Thematisierung des Bösen, Hässlichen, Brutalen, Gewalttätigen, Gemeinen, Asozialen, Riskanten, Gefährlichen, Zynischen, Elemente also, welche die Welt, die da draußen auf sie wartet, leider auch prägen. Und daran wird sich über die gesamte Dauer ihrer zukünftigen Berufstätigkeit hinweg nichts ändern. Im Gegenteil: Viele von Ihnen werden in Bereichen arbeiten, in denen die genannten Faktoren besonders wirksam sind. Sie könnten sich deswegen schon jetzt indigniert abwenden. Solche Prognosen passen einfach nicht zur bewährten Rationalität von Festreden. Insoweit habe ich einerseits pflichtgemäß ein schlechtes Gewissen. Andererseits muss ich mich der gestellten Aufgabe widmen und Ihnen deshalb einige Gedanken zur sogenannten Finanzkrise zumuten. Meine Anmerkungen können also kraft „Natur der Sache“ nicht erbaulich oder erheiternd sein, schon gar nicht feierlich oder festlich. Ich habe mich auch deshalb zur Annahme dieser gleichermaßen ehrenvollen, wie herausfordernden Einladung durchgerungen, weil ich hoffe, dass meine durch und durch unfestliche Festrede ihre negative Schwungkraft ohnehin an den Rändern der Buffettische verliert. Zudem bin ich mir sicher, dass Sie mit dem für Ihr Alter und Ihren neuerworbenen Status typischen Optimismus trotz allem Ihr Leben meistern werden, in einer Welt, die natürlich nicht nur von Krisen und Katastrophen geprägt ist.

Wie aber sieht ein Teil der Welt aus, in die Sie heute entlassen werden sollen? Und wer trägt hierfür die Verantwortung? War irgendjemand schuld, dass mit dem Zusammenbruch der Lehman Bank im Jahre 2008 die Weltwirtschaft an den Rand eines Abgrundes getrieben wurde, dessen Tiefe bis heute niemand ermessen kann? Kann irgendjemand eine verantwortliche und nachvollziehbare Angabe darüber machen, wieweit die Welt vom Rande dieses Abgrundes entfernt war bzw. immer noch ist? Wo waren der Sachverstand und die politische Voraussicht, die mit der Gefahr einer ökonomischen Kernschmelze umgehen konnten? Wer hat die Folgen zu tragen, die sich aus der gigantischsten Vernichtung von Vermögenswerten in der neueren Geschichte ergeben? Wessen Interessen ermöglichten eine jahrelange Bereicherungsorgie und wer hat davon profitiert? Hat sich irgendjemand in diesem Zusammenhang strafbar gemacht? Haben die zuständigen Behörden ihre Aufsichtspflichten erfüllt? Welche Politiker haben mit Ihrer Gesetzgebung dafür gesorgt, dass sich die Kapitalmärkte in Tatorte verwandeln konnten, auf denen sich eine besonders gemeingefährliche Art der Kriminalität breitmachen konnte? Welcher professionelle Standard galt in den Finanzinstitutionen, in denen mit „innovativen und strukturierten“ Produkten  gehandelt wurde, die mit der Realwirtschaft nichts, aber mit der Gier von Anlegern und deren Beratern alles zu tun hatten? Welche Ethik gilt in einer Gesellschaft, in der auch Vermögende nie genug bekommen können?

Natürlich sollen Sie diese Fragen nicht beantworten, schon gar nicht heute. Wir müssen gleichwohl über das Versagen des Risikomanagements nachdenken und über die zukünftigen ordnungspolitischen Herausforderungen. Und es ist einfach zu viel geschehen, um auch im Wirtschafts- und Kapitalmarktstrafrecht zur Tagesordnung überzugehen und die anhaltende verheerende Krise auszublenden.Wir werden aber auch darüber nachzudenken haben, wer in diesem Land der Souverän ist, in dem der verfassungsmäßige Gesetzgeber mangels fachlicher Kompetenz in wichtigen Bereichen nicht mehr die ihm übertragenen Aufgaben erfüllen kann. Die Beteiligung privater und gewinnorientierter Interessen in Gestalt international verflochtener Rechtsberatungskonzerne insbesondere an der Neuordnung der Kapitalmärkte macht den Grundgedanken der Gewaltenteilung zum Popanz. Hohe Millionenbeträge aus Steuermitteln werden dafür ausgegeben, dass die Bediensteten amerikanisch und britisch geprägter Dienstleistungsunternehmen für die Bundesrepublik Deutschland bzw. für die das Land gerade verwaltende Regierung Gesetzesvorlagen entwerfen oder Gutachten über wirtschaftliche und finanzpolitische Fragen schreiben.  Sie gestalten maßgeblich die Gesetze, auf deren Grundlagen sie später ihre Mandaten -meist Konzerne und große Unternehmen-   beraten. Objektive Interessenskonflikte werden einvernehmlich zwischen Regierungen und Begünstigten in eine besondere Form der Staatsräson verwandelt. Internationale Rechtsberatungskonzerne haben sogar deutsche Kommunen flächendeckend in risikoreiche Geschäfte geführt (z. B. „Cross-Border-Leasing“). Dabei kassieren sie gleich zweimal: zuerst dafür, dass sie das Problem schaffen, und dann erneut, um irgendeine (vermeintliche) Lösung zu finden

(Vgl. Insgesamt: Sachse, in: Focus Nr. 11/10 vom 15. März 2010, S. 52 ff.).
 
Damit sind nicht nur die ethischen Grundlagen anwaltlicher Tätigkeit berührt. Auch die als „Volljuristen“ ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den für die Vorbereitung des Gesetzgebungsprozesses verantwortlichen Ministerien müssen sich in ihrem professionellen Selbstverständnis betroffen fühlen. Ihnen wird die Erfüllung der anstehenden Aufgaben offensichtlich nicht zugetraut. Oder ist diese „Arbeitsteilung“ und die damit einhergehende Demütigung politisch gewollt, weil die betroffenen Beamten mit ihrer „Rest-Expertise“  verführt sein könnten, ihren Amtseid zu respektieren, soweit er immer noch nicht durch die Erwerbsinteressen der Geschäftswelt moderiert ist? Wird Demütigung so zum Führungsprinzip?

Es gibt kapitalmarktrelevante Gesetzgebungsprojekte, bei denen Ministerialbeamte zu „Kopierknechten“ für externe Berater degradiert wurden. Diese externen Helfer durften  Amtsräume nutzen und Unterlagen einsehen. Anschließend haben sie in ihren eigenen komfortableren Büroräumen den Willen des Volkes formuliert. Für die zuständigen Bediensteten blieben nur geringfügige „Schleifarbeiten“ übrig. Das ist mehr als besorgniserregend. Aus der vermeintlichen Unfähigkeit der Ministerialbürokratie kann der Nährboden für wirtschaftliche und machtpolitische Korruption erwachsen. Soweit vorhanden wird die Kompetenz von Abgeordneten das nicht verhindern, wenn ihre Mitwirkung bei den einschlägigen hyperkomplexen Gesetzgebungsvorhaben auf ein mehr oder weniger verständiges „Abnicken“ der äußerst anspruchsvollen Pakete in immer kürzer werdenden Zeitintervallen reduziert bliebe. Dafür wird mit einer Strategie der steuerfinanzierten Selbstbegünstigung das Problem des „Perpetuum mobile“ vielleicht irgendwann einmal gelöst sein. Das würde allerdings um den Preis des Zerfalls demokratischer Legitimität geschehen. Das „Outsourcing“ von Gesetzgebung ist unterdessen jetzt schon teilweise die Folge einer besonderen Art des Staatsbankrotts. Beauftragt eine Regierung Unternehmen mit der Lösung von Problemen, die in Teilaspekten gerade durch das Handeln der gleichen Unternehmen für den wirtschaftlichen Erfolg ihrer privaten Mandanten entstanden sind, dann ist zu prüfen, ob wir eine Kollusion aus regierungsamtlicher Unfähigkeit und fachlich-kommerziellem Wissen haben, die in ihrer gemeinschaftsbedrohenden Schädlichkeit jede historisch bekannte Form der Verschwörung weit hinter sich lässt. Hinter solchen Aussagen steht keine „Verschwörungstheorie“. Unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit -etwa als verfassungsrechtlich sanktionierter Widerstand- verlangen die erforderlichen Aktionen u. a. Mut, Entschlossenheit, Intelligenz, Disziplin und ein wie auch immer geartetes ethisch-moralisches Motiv. Nach mehreren Jahrzehnten Erfahrung mit Staats- und Regierungspraxis halte ich es aber für sehr unwahrscheinlich, dass diese Elemente in der für eine Verschwörung erforderlichen Quantität und Qualität in der von Politik und Behörden zu inszenierenden Kollusion jemals vorhanden sein könnten. Bei dem anderen Teil, also den interessierten Geschäftskreisen und der Finanzindustrie, versteht sich die Abwesenheit ethisch-moralischer Determination von selbst.

Sei’s drum: Ich behaupte zwar nicht, dass sich verschiedene Bundesregierungen mit Rechtsberatungsunternehmen in krimineller Weise zusammengetan haben, um die Steuerzahler als „Mega-Mafia“ zu schröpfen und das Wirtschaftssystem in eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung für exklusive Cliquen von Amtsträgern und privaten Maklern der Macht zu verwandeln. Die zu beobachtende Entwicklung sollte aber Anlass für Überlegungen sein, wer und in welcher Weise für den gegenwärtigen Zustand der Weltwirtschaft verantwortlich ist, in dem die Existenzgrundlagen vieler Millionen Menschen in Deutschland und überall auf der Welt nachhaltig bedroht sind. Handelt es sich dabei um Strukturen und Prozesse, die eine schicksalhafte Kraft haben und denen man sich deshalb nur noch mit der kreatürlichen Ergebenheit von Lämmern unterwerfen kann oder erleben wir eine institutionalisierte Provokation aller Menschen, deren Anspruch auf Achtung ihrer Würde durch eine ganz besondere Kombination von Geld und Gesetz missachtet wird?

Von den Antworten auf diese und andere Fragen wird es abhängen, ob sich die bestehende Wirtschaftordnung zunehmend nur als Gelegenheit zu asozialer und  organisierter krimineller Selbstbereicherung erweist. Man mag dann darüber nachdenken, ob freie, gleiche und geheime Wahlen auch zukünftig zu Verhältnissen führen, die andere Formen legitimer Selbstverteidigung nicht notwendig machen. Bisherige Wahlen konnten jedoch nicht verhindern, dass sich funktionelle Assoziationen zwischen Regierungen und Wirtschaftsunternehmen gebildet haben, die ihre Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwohl, gemessen an den Ergebnissen -und dazu gehört auch die Finanzkrise- in höchst eigenwilliger Weise ausgelegt haben. Nicht nur deshalb wäre es interessant, das herrschende Dogma demokratischer Exklusivität im Hinblick auf weitere Interpretationsspielräume zu diskutieren. Es geht dabei nicht um eine Priorisierung von ideologischen Positionen oder irgendwelchen Parteiprogrammen, die nach jeweiligen Wahlen nicht das Papier wert sind, auf dem sie vor den Wahlen gedruckt wurden. Es geht um die unverzichtbare Kopplung von Sachverstand und Legitimität. Genau dieser Zusammenhang hat sich aber spätestens in der Finanzkrise und in deren vorbereitenden Phasen aufgelöst. Zu meinem größten Bedauern darf ich diese Debatte angesichts des begrenzten Rahmens und wegen der für meine Person und meine Funktion geltenden Beschränkungen hier nicht so führen, wie es sachlich geboten wäre. Weitere Fragen müssen daher unbeantwortet bleiben. War alles nur ein unabwendbarer naturgesetzlicher Prozess? Hatte Gott Mammon ein unanfechtbares Urteil gesprochen? Sind wir doch alle schuldlose Opfer eines „Finanz-Tsunami“ geworden? Oder haben global agierende und marodierende Cliquen von Versagern und Verbrechern die Weltgemeinschaft als Geisel ihrer unbegrenzten Gier genommen? Und haben wir das alles in Wahrheit nicht doch verdient, weil wir im eigenen Interesse wirtschaftliche Realitäten nicht anerkennen wollten?

Solche Fragen sind im Rahmen einer Festrede nicht einmal zu stellen, geschweige denn zu beantworten. Ich will dies einem bestimmten Bankangestellten überlassen. Gefragt, ob er schon einmal über die eigene Schuld an der Entwicklung nachgedacht habe, welche die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat, gibt er an, dass es weniger auf das Verhalten des Einzelnen ankomme als darauf, die richtigen Regeln zu haben. Diese erhellende Erklärung stammt von Josef Ackermann, dem amtierenden Chef der Deutschen Bank. Er war also entweder nicht in der Lage, den Inhalt der ihm gestellten Frage zu erfassen oder wollte sich einfach nicht mit seiner persönlichen Verantwortung öffentlich auseinandersetzen. Er behauptet gleichwohl in einem Interview im Oktober 2009, sich über die Ursachen der Finanzkrise und über deren Lehren für die Zukunft Gedanken gemacht zu haben. Dieser Ansatz inspiriert zur Umformulierung des berühmten Titels von Robert Musil „Mann ohne Eigenschaften“ in „Eigenschaften ohne Mann“ und zu einer neuen Nachdenklichkeit über „Schuld und Sühne“. Immerhin räumt Ackermann ein, dass er selbst einiges falsch eingeschätzt hat. Er ist davon ausgegangen, dass jeder Marktteilnehmer nur so viele Risiken übernimmt, wie er selbst verkraften kann und damit das System in sich selbst stabil ist. Er habe nicht gedacht, dass einzelne Banken zum Teil außerhalb der Bilanz Risiken in solchen Größenordnungen ansammelten. Die „kollektive“ Erkenntnis sei jedoch nicht tief genug gewesen. Angesichts der Dimension der globalen Finanzmärkte sei nur bei relativ wenigen Produkten die Substanz nicht gut gewesen. Diese Produkte hätten allerdings viele andere in Mitleidenschaft gezogen. Es sei schwierig, Blasen vorab zu erkennen. Es gebe kein Bankgeschäft ohne Risiko. Deshalb sei es gerade in Boomzeiten so wichtig, „Risikodisziplin“ bzw. „Risikomoral“ zu bewahren. Zwar hätten die Deutsche Bank und Ackermann selbst „Fehler“ gemacht Aber man habe schon sehr früh auf systemische Schwierigkeiten hingewiesen und eine dementsprechende Lösung gefordert. Es gebe keinen Grund kollektiv in Sack und Asche zu gehen, zumal die meisten Bankmitarbeiter, gerade in Deutschland, mit dem Entstehen der Finanzkrise nicht das Geringste zu tun hätten. Natürlich müssten die „Spielregeln“ in Teilbereichen geändert werden, um die Wiederholung einer solchen Krise zu vermeiden. Daraus folge aber nicht, dass verbriefte Produkte, Finanzinnovationen oder gar das Investmentbanking insgesamt verschwinden. Die Banken müssten künftig mehr Eigenkapital vorhalten und einen Teil der Verbriefungen in der eigenen Bilanz führen. Zudem seien vermehrt Derivate über börsenähnliche Gebilde zu handeln, um die gegenseitige Abhängigkeit von Banken untereinander zu reduzieren. Ackermann betont gleichzeitig, dass die Banken zur am stärksten regulierten Branche der Wirtschaft gehörten. Nur in wenigen Teilbereichen, vor allem in der US-Immobilienfinanzierung, gebe es zu wenige „Spielregeln“. Im Übrigen seien Appelle an die Moral des Einzelnen oder von Unternehmen in einer Wettbewerbsgesellschaft keine Lösung. Falsche Anreizsysteme hätten sicher ihren Anteil an den Ursachen der Krise. Andere Faktoren, wie globale Ungleichgewichte, eine zu lockere Geldpolitik in den USA oder die expansive Kreditvergabe, seien aber wesentlich wichtiger. Man brauche kein grundsätzlich anderes, aber ein besseres Finanzsystem. Als Folge der Krise will die Deutsche Bank nicht nur Boni an die längerfristige Wertentwicklung des Unternehmens koppeln, sondern auch ein „Malussystem“ einführen. Es bestehe aber kein Grund, vom Gewinnziel (25 Prozent Eigenkapitalrendite vor Steuern) abzurücken.

Die zitierte Gedankenführung macht einen Diskurs über die Unterscheidbarkeit von Verantwortungsgefühl und Schuldbewusstsein mit diesem Bankangestellten sinnlos. Ackermann lässt sich nur über „Irrtümer“ aus, nicht über individuelle Schuld, schon gar nicht die eigene. Das havararierte System wird verteidigt.


Dessen ungeachtet hat man in der Öffentlichkeit damit begonnen, sich Gedanken über die persönlichen Eigenschaften des Josef Ackermann zu machen, der einerseits als mächtigster Wirtschaftsführer in Deutschland gilt und von allen am meisten Hass und Häme auf sich ziehe

(Fleischhauer, Der Getriebene, in: Der Spiegel Nr. 14 vom 3. April 2010, S. 58 ff.).

Andererseits attestiert man ihm ein zurückhaltendes und sympathisches Sozialverhalten. Bislang hat ihm auch niemand vorgeworfen, ein Betrüger oder ein Trottel zu sein. Man hält ihn für einen fähigen und sogar steuerehrlichen Manager. Seine Leistungen als Banker stehen nicht im Zentrum der Kritik. Auf Ablehnung stößt vielmehr die Art, wie er für seine Sache eintritt. Dabei geht es eben auch um die Frage, inwieweit er bereit ist, Verantwortung für die Krise zu übernehmen, in die seine Zunft die gesamte Weltwirtschaft gestürzt hat. Das ist besonders bedeutungsvoll, wenn die Behauptung eines journalistischen Beobachters stimmt, dass sein Verhalten auch darüber entscheidet, wie die Bürger über Staat und Wirtschaft denken. Die Probleme beginnen dabei überraschenderweise mit einem Erfolg. Im Jahre 2009 lag der Gewinn der Deutschen Bank nach Steuern bei ca. 5 Milliarden Euro. Das Investmentbanking hatte durch den Handel mit Anleihen am stärksten zugelegt. Das macht Ackermann stolz. Andere sehen darin den Beweis dafür, dass die Finanzbranche mit ihrem Verhalten einfach nur weiter macht wie vor Beginn der Krise. Sie zockt wieder „auf Teufel komm raus“. Alle denkbaren Handelsgegenstände an der Börse sind nach wie vor Teile hochriskanter Wetten. Es stellt sich die Frage, ob dies angemessen ist oder man nicht zunächst durch eigene Regulierungsvorschläge um die Vermeidung alt-neuer Fehler bemüht sein sollte. Das setzt aber voraus, dass man Klarheit über das herstellt, was falsch gelaufen ist. Wer also trägt die Schuld? Haben Einzelne versagt oder das System als Ganzes?

Die Deutsche Bank scheint von Ackermann bislang zwar relativ unbeschadet durch die Krise gesteuert worden zu sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er zuvor genau jene Spekulationsgeschäfte betrieben und gefördert hat, die das gesamte System schließlich ins Wanken gebracht haben. An der Auseinandersetzung um Ackermann lässt sich ablesen, was die Gesellschaft von ihrer „Wirtschaftselite“ erwartet, was sie noch erträgt und was sie nicht (hoffentlich nicht mehr) hinzunehmen bereit ist. Das ist ein besonders wichtiger Hinweis, gilt Ackermann doch inzwischen nicht nur als „Hassfigur“, sondern gar als „Feindbild“. Für ihn scheint das Verhältnis zwischen dem reinen Profitstreben und der Anteilnahme am Wohlergehen seiner Mitmenschen dennoch unproblematisch zu sein. Die Finanzkrise bietet ihm auch persönlich kein grundsätzliches Problem. Sein Institut ist gut über die Runden gekommen. Und für die Fehler der anderen, die nur mit Staatshilfe überleben konnten, ist er nicht verantwortlich. Die Einsicht, dass auch die Deutsche Bank ohne die staatliche Unterstützung für andere Institute zusammengebrochen wäre, liegt entweder außerhalb der intellektuellen Reichweite oder wird absichtsvoll verdrängt. Damit lassen sich alle rechtlich oder moralisch begründeten Vorwürfe mühelos abwehren. Es ist wie immer: Eigenes Fehlverhalten gibt es nicht oder es ist irrelevant. Der Marktmechanismus im System hat versagt.

Immerhin findet es Ackermann angeblich „unmöglich“, dass auf die wildesten Fehlspekulationen in vielen Fällen keine Strafe folgte. Im September 2009 hat er sich bei einem Abendessen mit einem Rechtsanwalt, der überwiegend als Strafverteidiger tätig ist (Eberhard Kempf), lange über die strafrechtlichen Folgen der Finanzkrise unterhalten haben. Dieser in seinen Jugendtagen im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) engagierte und mit der etwas verschwitzten Gloriole des „eigentlich Linken“  versehene Anwalt hat übrigens im Rückblick auf dieses Gespräch seine Sympathie für die Starrsinnigkeit in Ackermanns Charakter entdeckt haben, die in diesen Kreisen allerdings als „Intransingenz“ bezeichnet wird. Dem renommierten Anwalt, der Ackermann im „Mannesmann-Verfahren“ vertreten hatte, und dem seine Verbreitung kommunistischer Weltbilder irgendwann „zu blöd“ geworden sei, gefällt die von Ackermann geübte „Beanspruchung“ des Publikums. Sie besteht darin, an die vermeintlichen „Naturgesetze“ des Kapitalismus zu erinnern. So würde beispielsweise eine höhere Eigenkapitalquote der Banken zu einer Verteuerung der Kredite führen. Eine (freiwillige) Gewinnbeschränkung würde ab einer gewissen Grenze dazu führen, dass die Konkurrenten den jeweiligen Marktteilnehmer „auffressen“. Gleichwohl widmet sich Ackermann gelegentlich auch der Frage, ob zuviel Marktwirtschaft auch zu Wohlstandseinbußen führte oder ob man zu einem „eher kontemplativen“ Wettbewerb zurückkommen könnte. Trotz dieser demonstrativen Nachdenklichkeit scheint es ihm nicht gelungen zu sein, sich bei seinen Vorstandskollegen besonders beliebt zu machen. Etliche beklagen sich, natürlich erst nach ihrem Ausscheiden, darüber, dass mit Ackermann die Amerikaner auf den Führungsetagen einzogen und die Investmentbanker den Ton angaben, gegen deren Gewinne die Erträge aus dem ehrwürdigen Kundengeschäft in der Tat nur noch lächerlich waren. Es versteht sich im Übrigen fast von selbst, dass Ackermann derartige von ihm selbst angeschnittene und hochinteressante Fragen regelmäßig nicht beantwortet. Dieses Schweigen ist mangels entsprechenden Gedanken-Vermögens vielleicht auch nicht vorwerfbar. Genauso wenig wirft ihm im Bundeskanzleramt irgendjemand vor, die Arbeit an den neuen Regeln für die Finanzbranche zu hintertreiben. Nach dem Eindruck des hier zitierten Beobachters tut Ackermann aber auch nichts dafür, dass es sie gibt. Man könnte zwar jetzt noch darüber streiten, ob dieser Bankangestellte sich als Demonstrationsobjekt dafür eignet, weitere besondere Aspekte der Finanzkrise jenseits von Fragen strafrechtlicher Verantwortung und zivilrechtlicher Haftung zu debattieren. Aber selbst seine charismatische Persönlichkeit zwingt nicht dazu.

Ergiebiger könnte ein Blick auf die Ergebnisse neuerer Untersuchungen sein, in denen die Veränderungen in den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Einstellungen in der Bevölkerung wissenschaftlich untersucht werden

(Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände. Folge 8“, 2010).

Vier von fünf Befragten sind mittlerweile der Auffassung, dass sie die sich aus der Finanzkrise ergebende Wirtschaftskrise selbst „ausbaden“ müssen. Der Gesamtumfang des Desasters wird aber erst dann sichtbar werden, wenn auch die zwangsläufige „Fiskalkrise“ durchschlägt, die bislang nur durch aberwitzige Staatsverschuldungen verzögert werden konnte. Entsprechende Ahnungen über das Bevorstehende haben nach dem Eindruck des Forscher Heitmeyer schon jetzt eine Spaltung der Gesellschaft bewirkt, die immer größer werde.

(Heitmeyer, in: Der Spiegel Nr. 14 vom 3. April 2010, S. 70).

Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung erwarten eine Zunahme von Armut und sozialem Abstieg. Die meisten gehen davon aus, dass sie ihren Lebensstandard nicht mehr halten können. Diese „Statusangst“ mache anfällig für die Abwertung anderer. Mehr als 80 Prozent sollen sogar „wütend“ über die finanziellen Folgen der Krise sein. Die Wut speist sich auch aus der (wahrgenommenen) Tatsache, dass die Politik nichts aus der Krise lernt. Regierungen haben offenbar nicht die Kraft, wirklich wirkungsvolle Regeln für den Finanzmarkt durchzusetzen. Angesichts eines mangelnden sichtbaren Wutausbruchs glaubt Heitmeyer, dass es kein Ventil gibt und spricht von einer „wutgetränkten Apathie in der Bevölkerung“, ein Umstand, der durch das Fehlen eines konkreten Objekts für diese Wut erklärt wird. Man habe sich aber schon auf die Suche nach „Sündenböcken“ begeben und erkläre diejenigen für schuldig an der Wirtschaftskrise, die den Sozialstaat gezielt ausnutzen. Besonders die Langzeitarbeitslosen geraten ins Visier und werden zum neuen „Feindbild“. Jede Gesellschaft stabilisiere sich durch die Abwertung von Randgruppen. Das Schicksal der Arbeitslosen erhöht bei den anderen die Anpassungsbereitschaft. Verlustängste bewirken wirtschaftlichen Fortschritt. Es entsteht „systemische Brutalität“. Der autoritäre Kapitalismus habe es geschafft, seine Verwertungskriterien ohne Widerstand der ganzen Gesellschaft überzustülpen. Unterdessen glaubt die Mehrheit der Menschen, dass unsere „Kernnormen“ erodieren. Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness zählen nichts mehr. Die Folge ist gesellschaftliche Desintegration, für Heitmeyer der beunruhigendste Befund seiner jüngsten Untersuchungen. Viele Menschen seien von der Politik enttäuscht und wendeten sich ab. Sie merken, dass die Demokratie die Kontrolle gegenüber dem Kapital verliert, das seinerseits die Kontrolle übernimmt und gnadenlos ausübt. Die Mehrheit der Bevölkerung traut der Politik nicht mehr zu, dass sie die großen Probleme lösen kann. Eine tiefgreifende politische Resignation hat zu einer „Demokratie-Entleerung“ geführt. Das demokratische System befindet sich in den Anfängen eines unmerklichen Verrottungsprozesses.

Vor diesem Hintergrund wirkt es fast schon possierlich, dass Vertreter der vermeintlichen Funktionseliten wie Eberhard Kempf über seine Sympathie für Ackermann sinniert, der zusammen mit den Renditezahlen auch über den fälligen Stellenabbau redet. Das findet der Rechtsanwalt Kempf gut. Dieser Zeitgenosse weiß im Unterschied zu vielen Politikern immerhin, worüber er redet, hat er doch selbst in der Spanne seines bisherigen Lebens lange Wanderungen von der Kapitalismuskritik zur Rechts- und Sozialphilosophie anscheinend erfolgreich bewältigt. So kann er dem Rest der Welt auch kompetent verkünden, dass alles, was strafwürdig ist, auch „unanständig“ sei.  Aber nicht alles, was „unanständig“ ist, rechtfertige umgekehrt ein Strafverfahren. Hier ist nicht zu beurteilen, wieweit die geistige Nachbarschaft zwischen Kempf und Ackermann durch die räumliche Nähe ihrer Wohnungen im Frankfurter Westend gefördert wurde. Wichtiger ist die Frage, welche politischen und systemischen Konsequenzen sich aus den zitierten Aussagen und Untersuchungsergebnissen ergeben könnten und müssten. Ich sehe mich zu meinem größten Bedauern angesichts einer Vielzahl von Bedingungen für den öffentlichen Diskurs in diesem Lande und wegen zahlreicher rechtlicher Restriktionen an der Präsentation von Vorschlägen zur nachhaltigen Remedur gehindert.

Durch meine Anleihen aus öffentlichen Quellen ist aber hoffentlich schon hinreichend deutlich geworden, dass wir in einem tragischen Dilemma stecken. Es wird  aus zwei Richtungen gespeist.
Zum einen haben wir ein Elitenproblem. Wirtschaftsführer und politisch Verantwortliche haben über Jahre entweder intellektuell nicht verstanden, welchen Schaden sie mit ihren Aktivitäten und Nachlässigkeiten anrichten oder sie haben sich einer – wenn auch ungeplanten – „faktischen Verschwörung“ aus Inkompetenz und Geldgier angeschlossen. Sie haben die ihnen vertrauenden Menschen massenweise in die Irre geführt und deren Vermögen zur Befriedigung ihres sozialschädlichen Bereicherungstriebes geopfert. Zu diesem Zweck haben sie gelogen und betrogen. Sie haben sich systematisch korrumpiert. Dabei haben sie allen Ernstes noch auf den Respekt von Mitarbeitern und Wählern gehofft, ein Geisteszustand, der eher in den Zuständigkeitsbereich medizinischer Wissenschaften als in das Spektrum der Rechtswissenschaften fällt.
Zum anderen haben sich Vermögensinhaber durch geradezu irrsinnige Renditeversprechen verlocken lassen und sind bereitwillig mit ihren Konten ins gelobte Land aufgebrochen. Und sie haben auf ihrem Weg nie angehalten, um zu prüfen, wo sie sind. Und sie sind schon gar nicht umgekehrt. Die letzte Solidarität der Lämmer mit ihren Metzgern ist die Gleichsetzung. Die Gier nach „Mehr“ und die Angst vor „Weniger“ haben zusammen eine fast idenditätsstiftende Synergie entwickelt. Das wirtschaftliche Verhalten erwachsener Menschen ist dem Muster gefolgt, das für die Politik schon immer maßgebend war und das jedem Kind durch die Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ und „Der Rattenfänger von Hameln“ geläufig ist.

Nicht nur wegen des bedenkenswerten Satzes „volenti non fit iniuria“ könnte vor diesem Hintergrund der Ruf nach dem Strafrecht verfehlt sein. Die Forderung strafrechtlicher Haftung wäre sinnlos, wenn und soweit das Gesetzlichkeitsprinzip und ein rechtsstaatliches Strafverfahrensrecht eine derartige Haftung nicht zuließen. Das gilt für jedermann und uneingeschränkt auch für diejenigen, die im Vorfeld der Finanzkrise für Banken verantwortlich handelten. Es wäre jedoch falsch, der Finanzkrise pauschal den Stempel der „systemischen“ Krise aufzudrücken, bei der es sich verbietet, nach Verantwortung zu fragen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass allgemeine Ausführungen zu Straftatbeständen, insbesondere zur Untreue, nicht weiter führen. Sie haben mit der Finanzkrise tatsächlich wenig zu tun, solange man nicht darlegt, um welche Sachverhalte es überhaupt gehen soll. Richtig dürfte aber sein, dass komplexe Finanzgeschäfte einen „Nährboden“ für Vermögenskriminalität darstellen. Natürlich ist Komplexität als solche nicht strafbar. Neue Finanzierungs- und Anlageformen können selbstverständlich legale Gewinnmöglichkeiten eröffnen. Sie können aber auch Möglichkeiten schaffen, den Vertragspartner oder Marktteilnehmer zu übervorteilen. Konstruiert und strukturiert man quasi im Reagenzglas Finanzprodukte, mit denen man dem Erwerber oder dem Publikum eine nicht vorhandene Solidität oder eine scheinbar attraktive Renditeaussicht vorspiegelt, dient die Komplexität des Produkts eben nur der Verschleierung allfälliger Risiken. Und natürlich gibt es Möglichkeiten den Zuschnitt dieser Produkte so individuell zu gestalten, dass sie an der Naivität, Unkenntnis oder Gier der jeweiligen Anlegerkreise ausgerichtet sind.

Die Zusammenhänge zwischen Komplexität und Kriminalität prägen auch die seit 2007 anhaltende Finanzkrise. Besonders beunruhigend ist, dass diese Entwicklung den Finanzmarkt selbst erfasst hat und professionelle Marktteilnehmer die Risiken der von ihnen getätigten Geschäfte nicht mehr überblicken. Selbst sie sind zum Opfer der Komplexität geworden. Bis zum Ausbruch der Krise schienen Rechtsgüter wie das „Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts“ oder das „Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Kreditwesens“ nur einen abstrakten, theoretischen und synthetischen Charakter gehabt zu haben. Deren Gefährdung bzw. Schädigung hat aber mittlerweile sehr konkrete Formen angenommen. Die eingetretenen Erschütterungen lassen von einer „Systemvertrauenskrise“ sprechen. Der Vertrauensverlust hat handfeste Ursachen. Verschärft wurde die Entwicklung dadurch, dass man die eigene Risikoabschätzung durch fremde Risikoeinschätzung ersetzte, sie also in „Ratings“ auslagerte. Diese Ratings erwiesen sich jedoch als zu positiv und mussten von ihren Verkündern korrigiert werden. Die Frage, ob und ggf. nach welchen Kriterien die Rating-Agenturen von kriminellen Vereinigungen oder dreisten Versagern und Betrügerorganisationen abzugrenzen sind, ließe sich wohl nur in einer weiteren Festrede behandeln.
Natürlich gibt es Zeitgenossen, die alles schon vorher gewusst haben. Soweit sich darin eine prinzipielle Risikoaversion offenbart, muss man jedoch akzeptieren, dass diese kein Maßstab für wirtschaftliches Handeln ist. Spekulation ist grundsätzlich legal und gehört zur Aufgabe von Bankmanagern. Insoweit wären strafrechtliche Konsequenzen absurd. Dennoch ist es keine Lösung, die Frage nach der strafrechtlichen Haftung zu überspielen und alles in eine „systemische Krise“ umzudeuten, für die niemand persönlich haftet.


Ein klares und überzeugendes Fazit aus den hier wiedergegebenen Gedanken eines ausgewiesenen Experten für Kapitalmarktstrafrecht ist möglich:

„Der Umstand, dass letztlich eine systemische Krise entstanden ist, zeichnet nicht von strafrechtlicher Verantwortlichkeit frei, wenn zudem auf dem Weg in diese Krise gegen Strafvorschriften verstoßen worden sein sollte. In diesem Zusammenhang stellt sich somit die Frage nach der Vermeidbarkeit der für eine Untreuestrafbarkeit tatbestandlich vorausgesetzten Schädigung des Vermögens der Banken. Allein der Umstand, dass es in den Jahren 2007 und 2008 auf der einen Seite Banken gab, die die Krise mit noch verschmerzbaren Verlusten bewältigen konnten und auf der anderen Seite Banken, die mit aberwitziger Geschwindigkeit und ohne jeder Steuerungsmöglichkeit in den Ruin rasten, zeigt deutlich, dass es im Vorfeld nicht nur unterschiedliches Verhalten, sondern auch eine Vermeidbarkeit derartiger Folgen gab.“

(Christian Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2. erweiterte Aufl. 2010; Rd. 1146)
     
Jenseits der in diesen Worten zum Ausdruck kommenden rechtswissenschaftlichen Sorgfalt und Zurückhaltung sind auch rabiatere Schlussfolgerungen möglich. Sie werden von einem mit der Praxis transnationaler Kriminalitätsbekämpfung über viele Jahre vertrauten Beobachter (Antonio Maria Costa, UNODC) auch gezogen und haben im Wesentlichen folgenden Inhalt:

Aus der Finanzkrise hat sich eine wirtschaftliche und aus dieser eine soziale Krise entwickelt. Die Globalisierung hat auf den Finanzmärkten eine Kasinokultur entstehen lassen, mit dramatischen Konsequenzen. Dazu zählt die transnationale Organisierte Kriminalität (OK), die eine gesamtwirtschaftlich relevante Größe und eine globale Ausdehnung erreicht hat. Im Mittelpunkt der ganzen Entwicklung steht Korruption. Regierungen haben erlaubt, dass das System und seine wichtigsten Vertreter außer Kontrolle gerieten. Finanziers und Wirtschaftsführer haben ohne Regeln eine allgemeine Bereicherungsorgie veranstaltet. Banker, Fondsmanager und Vermögensverwalter haben ihre Dienstleistungen und ihre Seele verkauft, um riesige Summen Geldes zu verdienen und es sich in die eigene Tasche zu stecken als das System kollabierte. Armeen von Rechnungsprüfern, Buchhaltern und Rechtsanwälten haben sich legalen und illegalen Industrien wie Söldner zur Verfügung gestellt, um schmutzige Geschäfte zu verdecken bzw. ihnen den Anschein der Rechtmäßigkeit zu vermitteln. Rating-Agenturen und Beratungsgesellschaften haben Unternehmen betrügerisches Verhalten gelehrt und ihnen anschließend Unbedenklichkeitstestate erteilt. Die „Offshore-Finanzzentren  haben Geld jeder Herkunft akzeptiert und keine Fragen gestellt. Darin liegt der korrupte Kern der Finanzkrise.

Festreden erhalten ihren besonderen Charakter durch die (nicht immer angemessene) Zitierung von Autoritäten und Honoratioren. Ich weiß nicht, ob Bertolt Brecht und Peter Gauweiler, ein Abgeordneter der Christlich Sozialen Union im Deutschen Bundestag, schon dazu zählen. Möglicherweise wird das erst nach meinen abschließenden Bemerkungen der Fall sein. Brecht wollte schon vor geraumer Zeit wissen, was der Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer solchen ist. Es war wohl weniger eine Frage als eine Feststellung. Angesichts der zitierten Lagebeurteilungen könnte man diesen Satz geringfügig umformulieren. Als Frage lautete er dann folgendermaßen:
 
„Wie lassen sich Banken, Industrieunternehmen, Wirtschaftsprüfer, Rechtsberatungskonzerne, politische Parteien und Regierungen von kriminellen Vereinigungen unterscheiden?“

Die einen werden sich mit dieser „alt-neuen“ Frage nicht beschäftigen wollen. Sie mag ihnen polemisch, albern oder absurd erscheinen. Andere werden sie dagegen als rhetorisch empfinden, weil sie eine Unterscheidbarkeit grundsätzlich für ausgeschlossen halten. Eine weitere Gruppe mag hinter der Fragestellung eine politische Absicht wittern und so verstimmt sein, dass sie selbst den Versuch einer Beantwortung ablehnt. Viele werden es einfach nicht für möglich halten, dass aus Killern Banker geworden sind oder dass Inhaber hoher und höchster Staatsämter sich einem mafiotischen Schweigegebot (Omérta) unterwerfen, indem sie die Herkunft von Spenden auch jenseits ihres 80. Geburtstages beharrlich und gesetzwidrig mit der Behauptung verschweigen, sie hätten den großzügigen Gebern ein entsprechendes „Ehrenwort“ gegeben. Es liegt natürlich auch der Verdacht nahe, dass hinter meiner Frage Sozialneid und Minderwertigkeitsgefühle stehen und wirtschaftliche und politische Erfolge zum Feindbild verzerrt werden.

Zu all diesen Positionen könnte ich Ihnen eine Vielzahl von Beispielen und Gegenbeispielen nennen. Damit wäre der Anspruch auf Festlichkeit endgültig gescheitert. Aber vielleicht gelingt das auch mit den folgenden  Hinweisen. Der amtierende Ministerpräsident von Niedersachsen hat vor kurzem behauptet, dass die pflichtwidrige Vernichtung von Kapital eine Straftat sei. Man wird nicht nur deshalb darüber reden müssen, ob es sich hier um einzelne Fälle rechtswidrigen Verhaltens handelt oder ob die Folgen, die heute unter dem verniedlichenden Begriff „Finanzkrise“ debattiert werden, in Wahrheit der OK zuzurechnen sind. Besonders anregend könnte es werden, wenn man auch noch die Rolle von Regierungen  innerhalb und außerhalb der Europäischen Union im Zusammenwirken mit Finanzinstituten und Wirtschaftsunternehmen berücksichtigte. Gegenwärtig sind bekanntlich die Spannungen in der Eurozone und die Schulden Griechenlands die beherrschenden Themen an den Finanzmärkten. Das Vertrauen der Märkte in diesen Mitgliedstaat der EU ist dahin, seit bekannt wurde, dass man über Jahre mit falschen Zahlen geringere Schulden vortäuschte. Inzwischen gibt es Vermutungen, dass Investmentbanken mit speziellen Finanzprodukten dazu Beihilfe geleistet haben. Hier stellt sich die Frage, ob ein derartiges kollusives Zusammenwirken, sollte es jemals beweisbar sein, nicht als eine der höchsten Formen der OK anzusehen wäre. In der Öffentlichkeit wird bis jetzt dagegen regelmäßig verharmlosend von „Tricks“ gesprochen, also von lässlichen kleineren „Sünden“. Diese Ausdrucksweise ist in jeder Hinsicht unangemessen. Bei Staatsfinanzen werden große Summen häufig in anderen Währungen wie USD oder Yen aufgenommen, zwischenzeitlich in Euro getauscht, etwa zum Bezahlen fälliger Rechnungen, und vor der Fälligkeit wieder in die Ursprungswährung zurückgewechselt. Bei diesen Tauschgeschäften („Swaps“) sollen Investmentbanken nicht mit aktuellen, sondern mit fiktiven Wechselkursen gearbeitet und dadurch Kredite außerhalb der offiziellen Schuldenstatistik geschaffen haben, nicht nur in Griechenland, sondern schon vor Jahren in Italien.

Mittlerweile wird die Frage diskutiert, ob es  Finanzinstitute gibt, die so groß sind, dass sie als „systemrelevant“ gelten und deshalb mit Hilfe des Steuerzahlers aus der selbstverschuldeten Bredouille gerettet werden müssen. Dann müssten wir auch darüber reden, ob wir nicht nur eine „Systemkrise“, sondern auch eine „Systemkriminalität“ haben, eine besondere Art der Delinquenz also, die auf dem Boden wirtschaftlicher Inkompetenz und politischer Nachlässigkeit eine Kultur der Verantwortungslosigkeit geschaffen hat. In Wahrheit geht es wohl eher um eine „Unkultur“, in welcher der Rechtsstaat zum Fetisch von Sonntagsrednern oder Festrednern degeneriert ist, und in der Betrug und strukturelle Erpressung zum Funktionsmodus angeblicher Leistungseliten geworden sind. Vor diesem Hintergrund sollte man auch darüber diskutieren, ob ein System als solches überhaupt noch relevant sein darf, da es derartige Entwicklungen ermöglicht hat.

Wie auch immer: Die gegenwärtige Lage der Weltwirtschaft provoziert  Beschreibungen und Einordnungen, die nach Naturkatastrophen üblich sind. Insbesondere die Finanzkrise setzt man gerne mit einem Tsunami gleich: unvorhersehbar, unbeherrschbar und verheerend. Dabei sind die weltweit entstandenen volkswirtschaftlichen Schäden doch das Ergebnis von Fahrlässigkeit und vorsätzlichem Handeln einzelner Menschen und Organisationen. Die Finanzwelt, die Wirtschaft und die Politik haben am Aufbau eines Systems mitgewirkt, welches Risiken geschaffen hat, die in ihrem Umfang und in ihrem Schadenspotential in der neueren Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel sind. Diese Entwicklung fand unter den Augen von Behörden und politisch Verantwortlichen statt. Sie endete in einer Allianz von Versagern und Verbrechern. Ihre Wirkungskraft überschreitet alle denkbaren Möglichkeiten eines Mafia-Clans. Sie gefährdet das Gemeinwohl und die Stabilität von Regionen.

Die Zerstörungskraft der in der Finanzindustrie entstandenen Strukturen ist offensichtlich. Unklar ist immer noch, wer für die eingetretenen Folgen verantwortlich ist und ob Einzelpersonen oder Unternehmen zivilrechtlich haftbar gemacht oder strafrechtlich im notwendigen Umfang belangt werden können. Die bisherigen Anstrengungen sind nicht ermutigend. Viele maßgebende Akteure in der Weltwirtschaft sind durch ethische und rechtliche Differenzierungen ohnehin nicht ansprechbar. Sollte dies nicht zu ändern sein, müsste staatliche Rechtspflege irgendwann einmal doch durch gesellschaftliche Selbstverteidigung ersetzt werden, ein Gedanke, der mir schon aus beamtenrechtlichen Gründen hoffentlich nicht als Aufruf zu den Waffen und auf die Barrikaden angelastet werden möge.  Bis zu einer Entscheidung über die Erforderlichkeit revolutionärer Umgestaltungen haben wir ja auch noch etwas Zeit, um über den einen oder anderen anregenden Vorschlag nachzudenken. Das schon erwähnte Mitglied des Deutschen Bundestages Peter Gauweiler hat vor kurzem einen Erlass gegen Extremisten und Radikale im Bankgewerbe gefordert. Die deutsche Verfassung garantiere den Schutz des Eigentums als „Verantwortungseigentum“. Genau dieses entschwinde seit Jahren durch Investmentbanking, Hedgefonds und die Blickverengung auf „Shareholder Value“. Durch wahnsinnige Spekulationen von Bankern sei so viel anvertrautes Eigentum in Deutschland zerstört worden wie nie zuvor. Menschen, die mit dem Geld anderer Leute umgehen, spielten Schicksal und ersetzten fehlenden Durchblick bei ihren Investments durch „Ratings“ und verschleierten ihre Unkenntnis durch Zweckgesellschaften. Sie bilanzierten heiße Luft – mit Werten ohne marktmäßige Belege und berechneten nach solchen „Bilanzen“ ihre extremen Boni.
Gauweiler glaubt, dass der amerikanische Präsident Obama dem Geschwätz von Finanzdienstleistern außerhalb der Realwirtschaft ein Ende gemacht hat, eine vielleicht allzu optimistische Einschätzung. Dessen Vorschlag, den Kreditinstituten den nicht kundenbezogenen, eigennützigen Eigenhandel und Geschäfte mit Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften zu untersagen, sei völlig richtig. Ein Investmentbanking, welches das Eigentum seiner Kunden zerstückelt, verbrieft, verwettet und verspielt, hält Gauweiler für „organisierten Kundenverrat“. Man könnte es auch knapper sagen: Die Finanzindustrie, die Wirtschaft, die Verwaltung und die Politik sind teilweise eine Domäne der OK geworden.

Durch die Kombination von Brecht und Gauweiler scheint sich auf einmal ein Kreis zu schließen. Das ist ein Befund, der mich selbst  überrascht und sprachlos macht. Umso leichter fällt es mir, die unglaubliche Geduld, mit der Sie diese flagrante Verletzung des aktuellen Festlichkeitsgebotes ertragen haben, schweigend zu bewundern.
Vor dem Ausbruch dieses überfälligen Schweigens möchte ich insbesondere Ihnen, den Absolventinnen und Absolventen, wünschen, dass der Rest Ihres Lebens für Sie alle ein andauerndes, aufregendes und fröhliches Fest werden möge und dass Sie beruflich den Erfolg haben werden, den Sie wegen Ihrer Arbeit und Ihrer Leistungen verdienen und den Ihre Mitmenschen schadlos ertragen können, innerhalb und außerhalb des Finanzwesens.