CLEANSTATE e.V.
Betrifft: Richterklage
gegen den VIII. Zivilsenat des BGH
wegen
Rechtsbeugung u.a. im
Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008
Sehr
geehrte Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger,
am 30.9.2009 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des
Europarates die Resolution 1685 (2009) zum politisch motivierten
Missbrauch der Strafjustiz in Mitglied-staaten des Europarates.
Für Deutschland stellt die Resolution in Punkt 4.2.2 fest, dass
die Unabhängigkeit der Richter nach dem Gesetz wie in der Praxis
geachtet wird, doch dass es zu einer beträchtlichen Erosion ihres
Sozialstatus gekommen ist. Deshalb fordert die Resolution in Punkt
5.4.2 eine allmähliche Anhebung der Gehälter von Richtern und
Staatsanwälten. Die Forderung erläuterten Sie als
Berichterstatterin des Ausschusses für Recht und Menschenrechte im
Europarat wie folgt, siehe Abschnitt 61 in „Dok. 11993“ vom 7.8.2009:
„Im Hinblick auf die Frage der Gehälter stimme ich den Vertretern
der Richter und Staatsanwälte zu, dass eine angemessene Bezahlung
einen notwendigen Bestandteil des Schutzes vor unzulässigen
äußeren Einflüssen darstellt. Sinken die
Vergütungen zu tief ab, droht die Gefahr der Korruption – einer
Krankheit, die zu heilen weitaus schwieriger ist als sie zu
verhüten. Außerdem könnten angehende Richter und
Staatsanwälte sich ohne anständige Bezahlung auf allen Ebenen
des Gerichtswesens unter dem wirtschaftlichen Zwang fühlen, sich
durch Gefälligkeiten gegenüber den Machthabern für
Beförderungen ins Gespräch zu bringen.“
Offenbar kommt die dringend erforderliche Erhöhung der
Richter-Gehälter zu spät. Einige Richter haben sich schon in
finanzielle Abhängigkeit begeben und urteilen in der Folge im
Sinne ihrer Geldgeber. Am 22.10.2007 berichtete das Nachrichtenmagazin
„DER SPIEGEL“ in seiner Ausgabe 43/2007 über „Energiepreise –
Zeuge der Angeklagten“ über die seltsame Nebenbeschäftigung
von Wolfgang Ball. Ball, der Vorsitzende Richter am VIII. Zivilsenat
des BGH, erklärt der Energiebranche auf teuren Seminaren, was bei
Tariferhöhungen beachtet werden muss. In dem Spiegel-Artikel
heißt es:
“Die Argumente des
Gerichts präsentierte Wolfgang Ball vor wenigen Wochen noch einmal
‘leitenden Mitarbeitern’ der Energieversorger. Für ein Honorar im
"üblichen Rahmen", so Ball. Gleich nach dem Urteil war der
Seminarveranstalter Euroforum an Ball herangetreten. Zusammen mit der
Düsseldorfer Kanzlei Clifford Chance warb er mit Balls Foto und
unter dem Motto: ‘Gute Chancen für Gasversorger bei
Gaspreiserhöhungen!’ Für einen Beitrag von 1605 Euro lernten
die Teilnehmer ‘die gerichtsfeste Ausgestaltung von
Preisänderungs-klauseln’ und ‘den Umgang mit Widerspruchskunden’.
Ball war der Stargast,
eine Art Zeuge der Angeklagten. Mit seiner Urteilsbegründung war
er den Argumenten gefolgt, die die Energieriesen seit Jahren lancieren.
Mit Hilfe von Großkanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer
und Clifford Chance pflanzten sich diese Argumente in Gutachten und
Aufsätzen als vermeintlich herrschende Meinung fort.
Ob er so einen Auftritt
nicht bedenklich finde? Eine Befangenheit, lässt Wolfgang Ball
ausrichten, könne er bei der Sache nicht erkennen.
Beschränkungen für Auftritte von Bundes-richtern bei
Veranstaltungen seien ihm nicht bekannt, so Ball, solche Auftritte
seien zudem ‘nicht ungewöhnlich’ ”.
Die Nebentätigkeit von Richter Ball als hoch bezahlter Referent
der Energiewirtschaft gefährdet seine Unabhängigkeit und
nährt den Verdacht, die Rechtsprechung ließe sich eventuell
manipulieren. Wir haben die Urteile des VIII. Zivilsenats am BGH zur
Billigkeit von Energiepreisen näher untersucht, vgl. in der Anlage
die beiden umfangreichen Kritikschriften zur sogenannten
Preissockel-Theorie und zum Kartellrechts-Verständnis des VIII.
Zivilsenates. Nach unserer Einschätzung hat der VIII. Zivilsenat
unter Vorsitz des Richters Wolfgang Ball mit den drei
Leitsatz-Entscheidungen VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007, VIII ZR 36/06 vom
13.6.2007 und VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 einseitig und
willkürlich zu Gunsten der Energieversorger geurteilt. Diese
„Urteils-Trilogie“ ist von dem klaren Ziel geprägt, die
Energiepreise einer umfassenden Billigkeitskontrolle nach § 315
BGB zu entziehen und damit die enormen Gewinne der Energieversorger zu
sichern.
Sowohl vom Urteilsergebnis her als auch durch die
Urteilsbegründungen lässt sich zeigen, dass der VIII.
Zivilsenat des BGH die Bindung an Recht und Gesetz aufgegeben und
selbst die Rolle des Gesetzgebers übernommen hat. Mit gesetzwidrig
unbegrenzten Auslegungen entwickelte der Senat unter Vorsitz von
Richter Ball das Kartellrecht und § 315 BGB fort. Die
genannten BGH-Urteile dienen allein den Interessen der
Energiewirtschaft und lassen weitgehend schutzlose Energieverbraucher
zurück. Durch die Missachtung der Gesetzes-bindung
verstößt der VIII. Zivilsenat gegen die Gewaltenteilung, die
zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört.
Entgegen den Grundprinzipien des Grundgesetzes verweigert der VIII.
Zivilsenat den Energieverbrauchern einen wirkungsvollen Rechtsschutz,
vgl. Abschnitt 3.3 in der Kritik am Kartellrechts-Verständnis vom
4.2.2010.
Deutsche Richter sind nach Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht
nur unabhängig, sondern auch „nur dem Gesetz unterworfen”. Der
bedeutsame Absatz 1 von Artikel 97 zur Unabhängigkeit der Richter
lautet vollständig: „Die Richter sind unabhängig und nur dem
Gesetze unterworfen.” Nach Artikel 20 Absatz 3 ist die Rechtsprechung
„an Gesetz und Recht gebunden”. Um die Bindung des Richters an Recht
und Gesetz sicherzustellen, ist der Richter auf drei Arten für
sein Handeln verantwortlich:
Verantwortlichkeit Tatbestand
gesetzliche Grundlage
strafrechtlich Rechtsbeugung §
339 Strafgesetzbuch
disziplinarrechtlich
Amtspflichtverletzung § 26 Deutsches
Richtergesetz
verfassungsrechtlich
Verfassungsverstoß Art. 98 Abs. 2 und 5
Grundgesetz
Durch die Richteranklage nach Artikel 98 Absatz 2 des Grundgesetzes
wird ein Richter als Verfassungsorgan verfassungsrechtlich zur
Verantwortung gezogen, es geht um verfassungs-rechtlichen Staatsschutz.
Bei der Richteranklage handelt es sich um eine politisch-rechtliche
Kontrolle, um das Volk vor pflichtvergessenen Richtern zu
schützen. Ein Richter ist zur Treue gegenüber den
Grundsätzen des Grundgesetzes verpflichtet und soll sein Amt im
Geist der Demokratie ausüben. Nach dem Amtlichen Bericht von Georg
August Zinn im Parlamentarischen Rat soll die Richteranklage
„Gewähr dafür bieten, daß der Richter die ihm
anvertraute ungewöhnliche und nach der fachlichen Seite nicht
kontrollierbare Machtbefugnis im Sinne des Volkes, von dem er sie
erhalten hat und in dessen Namen er sie ausübt, verwaltet.” Nach
Carlo Schmid hat ein Richter „gerade weil er so unabhängig ist,
mehr Sorgfalt in seinem Amt anzuwenden als irgendjemand anders, und er
muß es sich gefallen lassen, daß man ihm peinlichere Fragen
stellt als irgendjemand anderem.” Dem Richter wird als
Repräsentanten des Volkes auf dem Gebiet der rechtsprechenden
Gewalt die demokratische Vertrauensfrage gestellt, und zwar in Bezug
auf die Verhaltensweisen, die in seiner Tätigkeit zutage getreten
sind.
Die Richteranklage ist nicht auf schuldhafte
Verfassungsverstöße beschränkt, sie ist auch ohne
Vorsatz und sogar ohne grobe Fahrlässigkeit des Richters
zulässig. Es ist auch nicht erforderlich, was Roman Herzog im
Grundgesetzkommentar von Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz zum Artikel 98
des Grundgesetzes in Randnummer 26 ff. behauptet, nämlich dass ein
Richter in seinem Verhalten eine „aggressiv-kämpferische Haltung
gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines
Landes erkennen läßt.” Diese Behauptung von Roman Herzog
widerlegt der Kommentar von Umbach auf über vier Seiten sehr
ausführlich und eindrucksvoll, siehe Randnummer 54 – 73 zu Artikel
98 (Rechtsstellung der Richter) in Umbach, Dieter C. / Clemens, Thomas
(Hrsg.): Grundgesetz, Mitarbeiter-kommentar und Handbuch, Band II, 2002.
Wir fordern Sie auf, im Deutschen Bundestag eine Mehrheit für den
Antrag nach Art. 98 Abs. 2 GG zu suchen, dass das
Bundesverfassungsgericht anordnet, die beteiligten Richter des VIII.
Zivilsenats wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die
Grundsätze des Grundgesetzes zu entlassen. Was den Vorsatz angeht,
so belegt nach unserer Ansicht die Qualität der
Rechts-verstöße in der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates
sogar eine Absicht im Sinne des dolus directus 1. Art, vgl. Seite 22 –
23 der Kritikschrift zum Kartellrechts-Verständnis des VIII.
Zivilsenats. Sofern Sie dazu ein Gutachten für erforderlich
halten, empfehlen wir den inzwischen emeritierten Potsdamer
Rechtsprofessor Dieter C. Umbach. Professor Umbach hatte bereits 1995
gemeinsam mit dem früheren Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, eine entsprechende
Stellungnahme zur Richteranklage angefertigt. Damals ging es um den
Mannheimer Richter Dr. Rainer Ortlet, der gegen den früheren
NPD-Vorsitzenden Günter Deckert ein umstrittenes Urteil
gefällt hatte.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr.-Ing.
Hans-Joachim Selenz
1.Vorsitzender
CLEANSTATE e.V.