Abhängigkeiten der
deutschen Justiz
Am 5. Mai 1949 wurde der Europarat
gegründet, um in ganz Europa gemeinsame und demokratische
Prinzipien zu entwickeln. Grundlage hierfür sind die
Europäische Konvention für Menschenrechte sowie andere
Referenztexte zum Schutz des Einzelnen. Nach eigener Darstellung unter http://www.coe.int/aboutCoe/index.asp?page=quisommesnous&l=de
hat der Europarat mit Sitz im französischen Straßburg heute
47 Mitgliedsstaaten und umfasst damit fast alle Staaten Europas.
Im Jahr 2009 hat der Ausschuss
für Recht und Menschenrechte des Europarats eine Reihe von
Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit von Richtern
und Staatsanwälten in ganz Europa empfohlen, um politisch
motivierter Einmischung in einzelnen Fällen ein Ende zu setzen.
Die Empfehlungen sind am 7. August 2009 unter dem Titel „Behaupteter
politisch motivierter Missbrauch des Strafrechtssystems in
Mitgliedstaaten des Europarats“ als Bericht „Dok. 11993“
veröffentlicht worden, siehe in englischer Sprache unter dem Titel
„Allegations of politically motivated abuses of the criminal justice
system in Council of Europe member states“ http://assembly.coe.int/Documents/WorkingDocs/doc09/edoc11993.pdf
und in deutscher
Übersetzung hier. Berichterstatterin war die
damalige FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
die heutige Bundesjustizministerin. Die Empfehlungen wurden von der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates als Resolution 1685-2009
am 30.9.2009 angenommen, siehe http://www.assembly.coe.int/Mainf.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta09/ERES1685.htm.
Um den politisch motivierten Missbrauch des Strafrechtssystems zu
verhindern, fordert die Resolution mehr Unabhängigkeit von
Richtern und Staatsanwälten u. a. auch in Deutschland.
1. Abhängigkeiten der Richter 1
1.1 scheinbare Unabhängigkeit
der Richter 1
1.2 vom Europarat empfohlene
Maßnahmen. 3
1.3 Begründung der
Maßnahmen. 3
2. Abhängigkeiten der
Staatsanwälte. 4
2.1 politische Weisungsgebundenheit 5
2.2 typische Einflussnahmen. 6
2.3 mangelhafte personelle
Ausstattung. 7
3. politische Aktivitäten. 7
3.1 Umsetzung der Resolution 1685. 7
3.2 Dealjustiz. 9
4. Wertung. 11
Literaturhinweise. 12
Wenn das Grundgesetz Wirklichkeit
geworden wäre, dann müssten Richter unabhängig sein.
Denn Artikel 97 des Grundgesetzes lautet:
(1) Die Richter sind
unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.
(2) Die hauptamtlich
und planmäßig endgültig angestellten Richter
können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und
nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze
bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder
zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den
Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen
festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in
den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte
oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt
oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des
vollen Gehaltes.
Nach Artikel 20 des Grundgesetzes sind
in Deutschland die staatlichen Gewalten geteilt:
(1) Die Bundesrepublik
Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt
geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und
der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung
ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende
Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es
unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht
zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Tatsächlich erzeugen die
genannten Passagen nur einen schönen Schön, der nichts mit
der Wirklichkeit zu tun hat. Das stellte schon vor rund 60 Jahren der
deutsche Jurist und Widerstandskämpfer Paulus van Husen fest,
siehe http://www.gewaltenteilung.de/gewaltenteilung.htm#hus.
Die Erkenntnisse eines Paulus van Husen werden 2009 vom Europarat
bestätigt. Der Ausschuss für Recht und Menschenrechte
verlangt in Deutschland die Einrichtung von „Justizräten“, wie es
sie in den meisten anderen europäischen Staaten gibt. Damit sollen
Richter und Staatsanwälte bei der Anwendung des Justizwesens mehr
Mitsprache erhalten. Ferner verlangt der Europarat, die
Möglichkeit abzuschaffen, dass Justizminister in Einzelfällen
der Anklagebehörde Weisungen erteilen können. Im einzelnen
werden die Ziele wie folgt formuliert, vgl. Seite 2 in Dok. 11993:
Die Unabhängigkeit der Gerichte
und jedes einzelnen Richters wird in allen Mitgliedstaaten des
Europarats grundsätzlich anerkannt. Das sollte sich auch in den
Verfassungen der Staaten niederschlagen. Wirkliche richterliche
Unabhängigkeit setzt außerdem eine Reihe rechtlicher und
praktischer Sicherungen voraus, darunter
·
die Einstellung und Beförderung
von Richtern allein nach ihrem Verdienst (Qualifikation,
Integrität, Fähigkeiten und Effizienz);
·
den effektiven Schutz vor unfairen
Disziplinarmaßnahmen (vor allem einer Entlassung);
·
Gehälter und Leistungen, die es
den Richtern und ihren Angehörigen ermöglichen, nicht auf die
Bereitstellung von Wohnraum oder anderen Vergünstigungen durch die
vollziehende Gewalt angewiesen zu sein;
·
den Schutz der Unabhängigkeit der
Richter gegenüber Gerichtspräsidenten und Richtern von
Obergerichten, unter anderem durch die Zuweisung von Fällen nach
strengen Regeln auf der Grundlage zuvor festgelegter objektiver
Systeme, damit den Richtern einzelne Fälle nicht ohne gesetzlich
genau umrissene Begründung entzogen werden können und indem
sichergestellt wird, dass die Beurteilung der Leistung eines Richters
nicht an dem Verhältnis der von Obergerichten bestätigten
oder kassierten Urteile gemessen wird.
Die aktuelle Lage in Deutschland wird
in Dok. 11993 wie folgt charakterisiert:
1.
Die Unabhängigkeit der Richter wird nach
dem Gesetz wie in der Praxis geachtet, doch ist es zu einer
beträchtlichen Erosion ihres Sozialstatus gekommen.
2.
Der französische Conseil
Supérieur de la Magistrature, welcher für Richter und in
geringerem Maße auch für Staatsanwälte eine wichtige
Rolle in Laufbahn- und Disziplinarangelegenheiten spielt, kennt in
Deutschland immer noch keine Entsprechung.
Damit die praktischen Maßnahmen
zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit effektiv sind,
empfiehlt der Europarat einen starken Justizrat bei der
Überwachung der Umsetzung der richterlichen Unabhängigkeit,
vgl. Seite 2 in Dok. 11993:
·
Justizräte müssen
entscheidenden Einfluss auf die Einstellung und Beförderung von
Richtern und Staatsanwälten sowie auf gegen diese gerichtete
Disziplinarmaßnahmen nehmen, und zwar unbeschadet der in manchen
Verfassungen vorgesehenen richterlichen
Überprüfungsmechanismen.
·
Gewählte Vertreter von Richtern
und Staatsanwälten sollten mindestens genauso zahlreich wie von
politischen Gremien benannte Mitglieder anderer gesellschaftlicher
Gruppierungen sein. Die zuletzt erwähnten Mitglieder sollten
für alle politischen Hauptströmungen des Landes
repräsentativ sein. Die in vielen Staaten geltende Praxis,
Parlamentsausschüsse in die Benennung bestimmter hoher Richter
einzubeziehen – was auch für die Wahl der Richter des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gilt – ist
ebenfalls annehmbar.
Die Parlamentarische Versammlung des
Europarates fordert Deutschland im Hinblick auf die Richter zu
folgenden Maßnahmen auf, siehe Seite 5 in Dok. 11993:
+
Erwägung der Errichtung eines
gerichtlichen Selbstverwaltungssystems unter Berücksichtigung der
föderalen Struktur der justiziellen Selbstverwaltung und
entsprechend dem Beispiel der in der übergroßen Mehrheit der
europäischen Staaten bestehenden Gerichtsräte, um auf diese
Weise die künftige Unabhängigkeit der Gerichte zu sichern;
+
allmähliche Anhebung der Gehälter
von Richtern und Staatsanwälten auf ein Niveau, das der Würde
und Bedeutung ihres Amtes entspricht, bis sie (im Vergleich mit dem
Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung) den Durchschnitt
aller europäischen Staaten erreichen
Ferner fordert die Parlamentarische
Versammlung des Europarats den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte zur Prüfung der Frage auf, ob Anträge wegen
behaupteter Verletzungen der richterlichen Unabhängigkeit und
Fällen politisch motivierten Missbrauchs des Strafrechtssystems
vorrangig behandelt werden sollten. Angesichts der grundlegenden
Bedeutung unabhängiger Gerichte für den Schutz der
Menschenrechte auf nationaler Ebene könnte eine solche Politik
dazu beitragen, die Flut von Anträgen an den Europäischen
Gerichtshof einzudämmen.
Sehr aufschlussreich ist die
Begründung der Maßnahmen. In der Zusammenfassung heißt
es, vgl. Seite 3 in Dok. 11993: „Die Unabhängigkeit
der Richter wird nach dem Gesetz wie in der Praxis geachtet, doch ist
es zu einer beträchtlichen Erosion ihres Sozialstatus gekommen.“
Wesentlich deutlicher werden die
Maßnahmen im erläuternden Bericht von Frau
Leutheusser-Schnarrenberger begründet. So heißt es auf Seite
21 in Randnummer 56: „Der Deutsche Richterbund ist der Ansicht, dass
die unzureichende justizielle Selbstverwaltung in Deutschland durchaus
einer der Gründe dafür sein könnte, dass das
Gerichtswesen im Vergleich mit anderen europäischen Staaten so
unterfinanziert ist – was neuere Vergleichsuntersuchungen auf
europäischer Ebene tendenziell unterstreichen. Selbst eine so
‚prosaische’ Frage wie die der Gehälter von Richtern und
Staatsanwälten wird betrachtet, als wirkten sich ‚unangemessene
äußere Einflüsse’ auf die Unabhängigkeit des
Gerichtswesens aus.“
Geradezu erschütternd klingt die
Erklärung der heutigen Bundesjustizministerin als damalige
Berichterstatterin Leutheusser-Schnarrenberger auf Seite 22 in
Randnummer 61 des Berichts „Dok. 11993“:
„Im Hinblick auf die Frage der Gehälter stimme ich den
Vertretern der Richter und Staatsanwälte zu, dass eine angemessene
Bezahlung einen notwendigen Bestandteil des Schutzes vor
unzulässigen äußeren Einflüssen darstellt. Sinken
die Vergütungen zu tief ab, droht die Gefahr der Korruption –
einer Krankheit, die zu heilen weitaus schwieriger ist als sie zu
verhüten. Außerdem könnten angehende Richter und
Staatsanwälte sich ohne anständige Bezahlung auf allen Ebenen
des Gerichtswesens unter dem wirtschaftlichen Zwang fühlen, sich
durch Gefälligkeiten gegenüber den Machthabern für
Beförderungen ins Gespräch zu bringen.“
Hier identifizieren Experten die
schlechte Bezahlung und das Beförderungssystem in der deutschen
Justiz als Ursache von Richterbestechung und Gefälligkeitsurteilen
in Deutschland! Was unterscheidet Deutschland da noch von einer
Bananenrepublik? Von Rechtsstaatlichkeit will schon niemand mehr reden.
Die Unterfinanzierung der Justiz hat
weitere negative Auswirkungen, die in dem Bericht „Dok. 11993“ nicht
näher beschrieben werden. Zu wenige Richterstellen führen zu
langen Verfahrensdauern und verschlechtern die Qualität der
Entscheidungen. Die schnelle Erledigung von Streitigkeiten gewinnt den
Vorzug vor der Gerechtigkeit. Für einen Richter mit großen
Aktenbergen ist es günstiger, „kurzen Prozess zu machen“,
statt „die Sache gründlich aufzuklären, für
Rechtsfrieden zu sorgen und ein – vor allem für den Unterlegenen –
überzeugendes Urteil zu schreiben“, so formuliert es Christian
Oestmann, Richter am Verwaltungsgericht Berlin in der NRV-Info NRW
12-2009 der Neuen Richtervereinigung auf Seite 13 – 14.
Weiter hält Richter Oestmann
fest: „Die bestehenden Strukturen fördern eher die
Anbiederei als eine unabhängige kritische Haltung.“ Das
Beförderungssystem charakterisiert Christian Oestmann wie folgt: „Das Beurteilungssystem ist das wesentliche Instrument der
Selbstrekrutierung innerhalb des hierarchischen Systems. Man
befördert den, der so richtet, wie man es für richtig
hält.“
Mit Ausnahme des
Bundesverfassungsgerichts können sich deutsche Richter kein
Gehör im Parlament verschaffen. Anders als z. B. die
Rechnungshöfe, die Datenschutzbeauftragten
oder das Bundeskartellamt haben Richter oder Richtervertretungen kein
Recht zu Rede und Anträgen im Parlament.
Eine umfassende Begründung der
Maßnahmen, die zur richterlichen Unabhängigkeit erforderlich
sind, findet sich in dem 137 Seiten starken Diskussionspapier der Neuen
Richtervereinigung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der
institutionellen Unabhängigkeit der Justiz“ vom 12. März
2010, siehe http://nrv-net.info/downloads_publikationen/488.pdf.
Die Rechtsprofessorin Anne van Aaken
und die beiden Wirtschaftsprofessoren Stefan Voigt und Lars P. Feld
zeigten 2004 in einer empirischen Studie auf der Basis von 62
Ländern, dass die faktische Unabhängigkeit der
Staatsanwaltschaft die unterschiedlichen Korruptionsniveaus in den
Ländern entscheidend beeinflusst. Die
Studie mit dem Titel “Power
Over Prosecutors Corrupts Politicians: Cross Country Evidence Using a
New Indicator” leitet den Einfluss mit
mathematisch-statististischen Methoden her. Wenn Politiker
Macht über Staatsanwälte ausüben können und ihnen
in konkreten Einzelfällen sogar Weisungen erteilen dürfen,
dann steigt das Risiko von Korruption.
Deutsche Staatsanwälte
unterliegen nach den §§ 146 – 147 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) politischen Weisungen.
§ 146 GVG zur
Weisungsgebundenheit lautet:
Die Beamten der Staatsanwaltschaft
haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.
§ 147 GVG zur Dienstaufsicht
lautet:
Das Recht der Aufsicht und Leitung
steht zu:
1. dem Bundesminister
der Justiz hinsichtlich des Generalbundesanwalts und der
Bundesanwälte;
2. der
Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen
Beamten des betreffenden Landes;
3. dem ersten Beamten
der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den
Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres
Bezirks.
Damit ist die Abhängigkeit der
Staatsanwaltschaften von Politikern in Deutschland gesetzlich
verankert. Anders als die herrschende Juristenmeinung glauben machen
will, waren die Staatsanwälte von Anfang an ein Instrument der
Regierenden, die früher wie heute damit ihre Machtinteressen
durchsetzen wollen. Das ist das Ergebnis der Forschungen von Dr. Peter
Collin in dem Artikel „Die Geburt der Staatsanwaltschaft in
Preußen“ vom März 2001 im Forum historiae iuris, siehe http://s6.rewi.hu-berlin.de/online/fhi/articles/0103collin.htm.
Daraus entnommen ist das folgende Zitat:
„Die Staatsanwaltschaft war also weder ein ‚Kind der
Revolution’ noch ist ihre Einführung auf liberal-rechtsstaatliches
Gedankengut zurückzuführen. Nahezu unbeeindruckt von der in
der Literatur stattfindenden Reformdiskussion entwarf die
Ministerialbürokratie eine Staatsanwaltschaft, die den
Bedürfnissen der Regierung entsprach. Ihr ging es in erster Linie
darum, eine Behörde zu schaffen, die ein Gegengewicht zu den als
politisch unzuverlässig verdächtigten Gerichten darstellte,
deren Tätigkeit initiierte, kontrollierte und wenn nötig
korrigierte. Auf diese Weise, so hoffte man, könnten politische
Zwecksetzungen im Strafverfahren ihre Berücksichtigung finden.
Hinter dem ‚Wächter des Gesetzes’ verbarg sich das ‚Organ der
Staatsregierung’.“
Der Ausschuss für Recht und
Menschenrechte des Europarates hat in dem Bericht „Dok. 11993“ vom 7.
August 2009 auch einige Maßnahmen zur Stärkung der
Unabhängigkeit von Staatsanwälten empfohlen. Als Ziele gibt
der Bericht auf Seite 2/3 aus:
·
Staatsanwälte müssen ihre
Aufgaben ohne Einmischung aus dem Bereich der Politik erfüllen
können. Sie müssen gegen Weisungen zu einzelnen Fällen
abgeschirmt werden, zumindest dann, wenn solche Weisungen die
gerichtliche Verwertung von Ermittlungen verhindern würden.
·
Die Unabhängigkeit der
Staatsanwaltschaft ist zu stärken.
Die aktuelle Lage in Deutschland wird
vom Ausschuss wie folgt charakterisiert: Die Unabhängigkeit der
Staatsanwälte ist weitaus weniger entwickelt als im Vereinigten
Königreich. Um die Unabhängigkeit des Strafjustizsystems zu
sichern und es vor politisch motivierten Einmischungen zu bewahren,
fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarates Deutschland u.
a. dazu auf, die den Justizministern eingeräumten
Möglichkeit, den Strafverfolgern in einzelnen Fällen
Weisungen zu erteilen, abzuschaffen.
In der
Erläuterung befürwortet Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in
ihrer Funktion als Berichterstatterin die Abschaffung der
Weisungsgebundenheit. Wörtlich schreibt sie in Randnummer 60 auf
Seite 22 von Dok. 11993: „Was das Recht angeht,
Staatsanwälten Einzelanweisungen zu erteilen, unterstütze ich
uneingeschränkt den Vorschlag, diese Möglichkeit
abzuschaffen. Nach meiner eigenen Erfahrung als Ministerin kann ich nur
bestätigen, dass dieses Instrument ein zweischneidiges Schwert
ist, das ebensoviel Schaden anrichten wie Gutes bewirken kann, sowohl
bei denen, die sich seiner bedienen als auch denen, die auf der anderen
Seite stehen. Das gilt insbesondere angesichts der weit verbreiteten
und in jüngster Zeit zum Teil ‚legalisierten’ Praxis von
‚Abmachungen’ zwischen der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und der
Verteidigung. Wenn die Staatsanwaltschaft nämlich ‚politischen’
Weisungen zu folgen hat, kann das gesamte Verfahren leicht zu einer
Farce werden.“
2002 äußerte sich Dr.
Winfried Maier zur Unabhängigkeit der Staatsanwälte. Dr.
Maier war bis zum Jahr 2000 in der Parteispendenaffäre der CDU/CSU
als Staatsanwalt in Wirtschaftsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft
Augsburg tätig und wechselte danach als Familienrichter zum OLG
München. In seinem Vortrag anlässlich der 6. Speyerer
Demokratietagung der Hochschule Speyer zum Thema „Korruption in Politik
und Verwaltung“ am 24. und 25. Oktober 2002 sind die wichtigsten Formen
der Einflussnahme auf die Staatsanwälte und deren Folgen
beschrieben, siehe http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/30.90.01MaierSpeyer02-10-05.pdf.
Dr. Maier nennt verdeckte interne
Weisungen als häufigste und einfachste und gefährlichste Art
der Einflussnahme auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, da sie
nicht schriftlich dokumentiert sind. Zu den verdeckten Weisungen
gehören interne Dienstbesprechungen und telefonische „Bitten“.
Eine besondere Gefahr für den Ermittlungserfolg geht von den
internen Berichten aus. Im Rahmen ihrer internen Berichtspflicht
müssen Staatsanwälte ihre Vorgesetzten über den Inhalt
des Verdachts, zu den geplanten Ermittlungsmaßnahmen und zu den
Ermittlungsergebnissen informieren. Zum einen werden solche Berichte
häufig von den Vorgesetzten angepasst oder sie dienen als
Warnhinweis an die Beschuldigten oder an die Presse.
Aus der Weisungsgebundenheit des
Staatsanwaltes ergibt sich nach Dr. Maier als systemimmanente Folge der
vorauseilende Gehorsam. Dr. Maier begründet das wie folgt: „Denn mit dem vorauseilenden Gehorsam umgeht der Staatsanwalt
die ihn maßregelnde, gesetzlich zumindest in Grenzen
zulässige Weisung, er erspart sich Ärger und er empfiehlt
sich für Beförderungen, die von den weisungsberechtigten
Vorgesetzten ausgesprochen werden.“
Als Folgen der Einflussnahme durch
Weisungsgebundenheit führt Dr. Maier mehrere Gefahren auf und
erläutert sie:
-
Gefahr eingeschränkter
Ermittlungsmöglichkeiten bei Ermittlungen (z. B. wegen Untreue
oder Vorteilsannahme) gegen Vorgesetzte oder hohe Amtsträger
-
Gefahr, dass das Weisungsrecht der
Exekutive das Prinzip der Gewaltenteilung einschränkt
-
Gefahr für das
Selbstverständnis der Justiz, die Gleichheit vor dem Gesetz
gegenüber jedermann zu verwirklichen
-
Gefahr für das Ansehen der Justiz
durch nicht transparente Einflussnahmen
-
Gefahr für das
Verantwortungsbewusstsein und die Initiative.
Heute fühlen sich
Staatsanwälte als „Marionette der Politik“, wie es
der Frankfurter Oberstaatsanwalt Klaus Pförtner am 8.11.2008
ausdrückte. Beim „Internationalen Symposium zur richterlichern
Unabhängigkeit in Europa“ hielt Klaus Pförtner einen
bemerkenswert offenherzigen Vortrag an der Universität Frankfurt
am Main. Der vollständige Vortragstext von Oberstaatsanwalt
Pförtner ist unter http://www.gewaltenteilung.de/pfoertner.htm
abrufbar. Darin ist zu spüren, wie unzufrieden selbst die
Staatsanwälte mit den katastrophalen Rahmenbedingungen Ihrer
Arbeit sind.
Die bereits bei der Rechtsprechung
festgestellte Unterfinanzierung wirkt sich auf die Arbeit der
Staatsanwaltschaften aus. Die Strafverfolgungsbehörden sind
personell drastisch unterbesetzt, so dass sich Akten in den Amtsstuben
türmen. Gerade bei komplexen Wirtschaftsstrafsachen können
schnell hunderte von Akten zusammenkommen, deren Digitalisierung den
Bearbeitungsaufwand des kritischen Lesen und Prüfens nicht
reduziert.
Zum anderen resultiert aus der
Unterfinanzierung eine mangelhafte fachliche Qualifikation. Die
Gehälter sind einfach nicht attraktiv, um die besten Absolventen
für den Posten eines Staatsanwaltes zu gewinnen, wenn die freie
Wirtschaft die begehrten Experten mit einem mehrfach höheren
Verdienst lockt.
Außerdem fehlt bei dünner
Personaldecke die Zeit für dringend erforderliche Weiterbildungen.
Die aktuelle Finanzmarktkrise mit ihren komplexen Schuldverbriefungen
und Derivatkonstrukten oder auch Cross Border Leasing zeigen, dass viel
wirtschafts- und finanzwissenschaftliches Know how erforderlich ist, um
die kriminellen Machenschaften überhaupt erkennen zu können.
Mehrere Bundestagsabgeordnete und die
Fraktion DIE LINKE fragten in einer „Kleinen Anfrage“ die
Bundesregierung, wie die Resolution 1685 der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates vom 30.9.2009 konkret umgesetzt werden
soll. Laut Bundestags-Drucksache 17/958 vom 5.3.2010 verlangte die
Anfrage fünf Auskünfte von der Bundesregierung zu
Justizräten, zur Besoldung von Richtern und Staatsanwälten,
zur Weisungsabhängigkeit der Strafverfolgung, zur richterlichen
Überwachung der Strafverfolgung und zum Missbrauch der
Strafjustiz, vgl. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/009/1700958.pdf.
Am 18.3.2010 „antwortete“ die
Bundesregierung auf die Fragen, siehe Bundestags-Drucksache 17/1097
unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/010/1701097.pdf.
1)
Justizräte
Wie stellt sich die Bundesregierung die Umsetzung der Aufforderung der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates vor, zur Sicherung der
Unabhängigkeit der Justiz in der Zukunft ein System der
gerichtlichen Selbstverwaltung unter Berücksichtigung der
föderalen Struktur der deutschen Justiz einzurichten – und zwar
nach dem Vorbild der bestehenden Justizräte in der
überwiegenden Mehrheit der europäischen Staaten?
Antwort der
Bundesregierung:
Die von der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates in ihrer Resolution 1685
(2009) geforderte Einführung eines Systems der Selbstverwaltung
der Justiz in Form von Justiz(verwaltungs)räten in Deutschland
wäre nach allgemeiner Ansicht nicht ohne entsprechende
Änderungen des Grundgesetzes realisierbar. Hierzu bedürfte es
breiter Zustimmung in den gesetzgebenden Körperschaften, die schon
mit Rücksicht auf die überwiegend ablehnende Haltung der
Länder gegenwärtig nicht erkennbar ist.
2)
Besoldung von Richtern und Staatsanwälten
Wann wird damit begonnen, der Aufforderung nach einer schrittweisen
Erhöhung der Bezüge der Richter und Richterinnen, der
Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie der Anhebung der
zur Verfügung stehenden Mittel für die Prozesskostenhilfe,
nachzukommen?
Antwort der
Bundesregierung:
Durch die
Föderalismusreform im Jahr 2006 wurden die Gesetzgebungsbefugnisse
gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nummer 27 des Grundgesetzes
für die Besoldung der Richter in den Ländern auf die
Länder übertragen. Damit kann der Bund für die ganz
überwiegende Zahl der Richterinnen und Richter in Deutschland die
Besoldung nicht mehr regeln.
Der Zugang
zum Recht wird in allen (nicht strafgerichtlichen) Verfahren durch
Prozesskostenhilfe gewährleistet. Prozesskostenhilfe erhält
eine Partei für eine hinreichend aussichtsreiche Rechtsverfolgung,
soweit sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur
zum Teil aufbringen kann (§ 114 der Zivilprozessordnung). Auf
Prozesskostenhilfe besteht ein Rechtsanspruch. Bund und Länder
stellen in ihrer jeweiligen Zuständigkeit die notwendigen
Haushaltsmittel für die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur
Verfügung.
Im
Strafverfahren hält die Strafprozessordnung mit dem Institut der
notwendigen Verteidigung insgesamt ein ausgewogenes System bereit, das
in rechtsstaatlicher Weise die Möglichkeiten für eine
umfassende Verteidigung des Angeklagten sicherstellt. Nach § 140
der Strafprozessordnung (StPO) bestellt das Gericht in den dort
geregelten Verfahrenslagen einen Pflichtverteidiger, weil der
Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Angeklagte sich in diesen
Fällen nicht selbst verteidigen kann. Auch insoweit haben Bund und
Länder die hierfür notwendigen Haushaltsmittel
bereitzustellen.
3)
Weisungsabhängigkeit der Strafverfolgung
Durch welche Initiativen beabsichtigt die Bundesregierung den Ministern
der Justiz die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die
Strafverfolgung durch Anweisungen im Einzelfall zu nehmen?
Antwort der
Bundesregierung:
Die
Bundesregierung wird die zu dieser Frage geführte Diskussion
weiterhin aufmerksam verfolgen. Hierbei ist zu berücksichtigen,
dass entsprechende Überlegungen und etwaige Reformvorschläge
in erster Linie die Länder und ihre Staatsanwaltschaften betreffen.
4)
richterliche Überwachung der Strafverfolgung
In welchem Umfang wird die Bundesregierung die Aufsicht durch die
Richter und Richterinnen in Recht und Praxis über die
Ausübung erweiterter Befugnisse der Staatsanwaltschaft,
insbesondere im Kampf gegen den Terrorismus stärken?
Antwort der
Bundesregierung:
Die
Strafprozessordnung sieht für Ermittlungsmaßnahmen, die
nicht nur unerheblich in die Grundrechte der von ihnen Betroffenen
eingreifen, bereits jetzt ganz überwiegend vor, dass sie durch ein
Gericht angeordnet werden. Zudem hat der Gesetzgeber die gerichtliche
Kontrolle in letzter Zeit weiter ausgebaut. Durch das Gesetz zur
Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer
verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG, das am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist,
wurde u. a. die Anordnung einer längerfristigen Observation
gemäß § 163f StPO von Beginn der Maßnahme an dem
Richtervorbehalt unterstellt. Zudem wurde für heimliche
Ermittlungsmaßnahmen die Benachrichtigung der von ihnen
Betroffenen sowie damit verbunden eine mögliche nachträgliche
gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzuges neu geregelt
(§ 101 Absatz 4 bis 7 StPO). Zurzeit sieht die Bundesregierung
für die bestehenden Ermittlungsmaßnahmen keinen
Handlungsbedarf.
5)
Missbrauch der Strafjustiz
Auf welche Art und Weise beabsichtigt die Bundesregierung mit den zu
erwartenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte zu Verstößen gegen die Unabhängigkeit
von Richtern und Richterinnen sowie politisch motivierten Missbrauch
der Strafjustiz umzugehen?
Antwort der
Bundesregierung:
Die
Bundesregierung erwartet keine derartigen Entscheidungen.
Die „Antworten“ der Bundesregierung
sind inhaltlich keine richtigen Antworten, sondern bestehen aus
typischen politischen Leerformeln. Die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung
sieht keinen konkreten Handlungsbedarf, sondern will nur beobachten
oder fühlt sich schlicht nicht zuständig. In der Rolle des
fast unbeteiligten Zuschauers will die Bundesregierung abwarten, wie
sich die Dinge entwickeln. Von einer Initiative, irgendetwas im Sinne
der europäischen Ziele zu ändern, ist überhaupt nichts
zu erkennen, nicht einmal eine Spur.
Auf einem ganz anderen Gebiet ist die
Bundesregierung dagegen noch zu Zeiten der großen Koalition
tätig geworden, und zwar mit dem „Gesetz zur Regelung
der Verständigung im Strafverfahren“ vom 29.7.2009, das am
4.8.2009 in Kraft getreten ist, siehe BGBl. I S. 2353. Das Gesetz setzt
Vorgaben um, die der Große Senat für Strafsachen des
Bundesgerichtshofes im Urteil GSSt
1/04 vom 3. 3. 2005 für Absprachen definiert hat. In der
Pressemitteilung zum Urteil betont der Große Senat für
Strafsachen, „dass er mit seiner Entscheidung an die
Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung stößt. Er appelliert
deshalb an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls,
die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von
Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln. Es ist primär Aufgabe des
Gesetzgebers, die grundsätzlichen Fragen der Gestaltung des
Strafverfahrens und damit auch die Rechtsregeln, denen die
Urteilsabsprache unterworfen sein soll, festzulegen“.
Die zentrale Vorschrift zur
Verständigung im Strafverfahren ist seit dem 4.8.2009 ein neuer
§ 257c in der Strafprozessordnung (StPO):
(1) Das Gericht kann
sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach
Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren
Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244
Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Gegenstand dieser
Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt
des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein
können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im
zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der
Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein
Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der
Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer
Verständigung sein.
(3) Das Gericht gibt
bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es
kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles
sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober-
und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten
Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande,
wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes
zustimmen.
(4) Die Bindung des
Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder
tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind
oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der
Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen
nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das
weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten
entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist.
Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht
verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich
mitzuteilen.
(5) Der Angeklagte ist
über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes
von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.
Einige Kritiker der Dealjustiz
sprechen vom „schönen Schein des Strafrechts“, so der Konstanzer
Strafrechtsprofessor Wolfgang Heinz vom Lehrstuhl für Kriminologie
und Strafrecht an der Universität Konstanz. Sein Vortrag im Rahmen
des Interdisziplinären Seminars „Was heißt soziale
Gerechtigkeit“? in der Universität Konstanz am 13.1.2010, ist
online verfügbar unter http://www.uni-konstanz.de/FuF/Jura/heinz/Heinz_Schoener_Schein_StrafR.pdf.
Andere Kritiker sehen Deutschland mit der Absprachepraxis auf dem Weg
in eine Bananenrepublik und befürchten den Untergang der
Rechtskultur. So deutlich betitelt der Münchener
Strafrechtsprofessor Bernd Schünemann bereits 2005 seine beiden
Schriften zum Thema:
-
„Strafprozessuale
Absprachen in Deutschland – Der Rechtsstaat auf dem Weg in die
„Bananenrepublik“?, in: Schriften der Juristischen Gesellschaft
Mittelfranken zu Nürnberg e.V. Heft 19, 2005.
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Wetterzeichen vom Untergang der
deutschen Rechtskultur – Die Urteilsabsprachen als Abgesang auf die
Gesetzesbindung der Justiz und den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung,
2005
In dem Artikel „Die Zukunft des
Strafverfahrens – Abschied vom Rechtsstaat“ in der Zeitschrift für
die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) Band 119, Heft 4/2007, Seite
945 – 958, begründet Schünemann seine Kritik damit, dass die
Urteilsabsprachen faktisch die Hauptverhandlung abschaffen. Bei den
Absprachen muss sich der Richter ausschließlich auf den Inhalt
der möglicherweise einseitigen Ermittlungsakten verlassen. Die
Möglichkeit entfällt, die Prägewirkung der
Ermittlungsakten in der Hauptverhandlung zu korrigieren. Nach
Schünemann wird durch die Absprachen „das
Strafverfahren de facto wieder in den Inquisitionsprozess
zurückkatapultiert“, vgl. Seite 951 unter http://www.reference-global.com/doi/pdfplus/10.1515/zstw.119.4.945.
Unbewusst verwertet der Richter die Bereitschaft des Angeklagten in
Absprachen als ein Schuldeingeständnis und verurteilt dann in
einer beweismäßig offenen Situation signifikant
häufiger als ohne eine derartige Vorgeschichte.
Die Grundsätze der
Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlung werden durch
die Absprachen verletzt. Die jetzt legalisierte „Verständigung“
ermöglicht eine Geheimjustiz mit Deals, die besonders Wirtschafts-
und Regierungskrimininelle bevorzugen. Die Beweisaufnahme wird
drastisch reduziert, die Aufklärung von strafbaren Vorgängen
bleibt gegenüber der Öffentlichkeit im Verborgenen. Selbst
renommierte Strafverteidiger wie der Frankfurter Fachanwalt für
Strafrecht Eberhard Kempf sehen „mit der Legalisierung von
Absprachen im Strafverfahren ‚die Grundlagen des Strafverfahrens in
Beliebigkeit und Willkür’ aufgelöst“, siehe Seite 276 in
„Gesetzliche Regelung von Absprachen im Strafverfahren? oder: Soll
Informelles formalisiert werden?“, Zeitschrift Strafverteidiger (StV),
Heft 5/2009, Seiten 269 – 276, online verfügbar unter http://www.strafverteidiger-stv.de/hlv/stv/stv_home.nsf/ressourcen/dateien/beitraegestv063/$file/beitraegestv063.pdf.
In seinem Zitat ‚die
Grundlagen des Strafverfahrens in Beliebigkeit und Willkür’
bezieht sich Eberhard Kempf auf Monika Harms, die frühere
Richterin am Bundesgerichtshof und heutige Generalbundesanwältin.
Doch in welchem Mileu bewegt sich Frau Harms und die von ihr geleitete
Generalbundesanwaltschaft? Im Falle des angeblich von der RAF
ermordeten Generalbundesanwaltes Siegfried Buback missachteten die
Bundesanwälte einfachste Grundregeln der Kriminalistik hat. Erst
die Recherchen und Publikationen des Sohnes, eines
weisungsunabhängigen Chemie-Professors, offenbarten 2008 – 2009:
die wahren Mörder von Siegfried Buback wurden bis heute nicht
angeklagt, und staatliche Behörden vertuschten mehr als sie
aufklärten.
Legitimität bezeichnet die
Rechtmäßigkeit eines Staates und seines Herrschaftssystems
durch Einhaltung bestimmter Grundsätze und Wertvorstellungen.
Legitimität unterscheidet sich durch die
Anerkennungswürdigkeit von der formalen
Gesetzmäßigkeit, der Legalität. Gerichte erhalten ihre
Legitimität nur durch Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger. Denn Richter werden nicht direkt vom Volk bestellt und
sind ihm gegenüber auch nicht zur Rechenschaft verpflichtet.
Vertrauen gewinnt die Justiz durch Unabhängigkeit gegenüber
Politikern und anderen mächtigen Akteuren wie
Wirtschaftskonzernen. Nur dann kann die Judikative als Dritte Gewalt
die Gleichheit aller vor dem Gesetz gewährleisten sowie
Minderheiten und Schwächere nach dem Gesetz vor den Mächtigen
schützen.
In ihrer
länderübergreifenden Studie kommt Ruth Kunz 2009 zu dem
Ergebnis, dass nur die tatsächliche Unabhängigkeit der Justiz
Vertrauen schafft. Eine Unabhängigkeit bloß auf dem Papier,
z. B. in Deutschland nur im Grundgesetz, erhöht für sich
allein betrachtet nicht das Vertrauen in die Justiz. Das Vertrauen
bleibt vor allem dann aus, wenn die Unabhängigkeit faktisch nicht
gegeben ist, wie die Feststellungen im Bericht des Europarats belegen.
In seinem Beitrag „Ein
Rechtsstaat braucht unabhängige Staatsanwälte“ in der
Börsen-Zeitung vom 7.3.2008 stellt Stefan Voigt, Hamburger
Professor für Ordnungsökonomik, fest: „Rechtsstaatlichkeit
bedeutet, dass auch die Regierenden unter dem Recht agieren, Minister,
Staatsanwälte und Bürokraten sich also an allgemein
gültige Regeln halten müssen. Staatsanwälte haben die
Aufgabe, Informationen über Straftaten und Täter zu sammeln
und sie dann vor einem – unabhängigen – Gericht zu
präsentieren. Nun ist aber nicht auszuschließen, dass auch
Mitglieder der Exekutive Straftaten begehen. Wenn die
Staatsanwälte dann von der Regierung abhängig sind,
dürfte es um die Verfolgung der Straftaten nicht gut bestellt sein.“
Die spektakulären Fälle um
die CDU-Spendenaffäre und den Mannesmann-Prozess erwecken den
Eindruck, als ob sich bestimmte Täter selbst vor Gericht von einer
Freiheitsstrafe freikaufen können, weil sie über
genügend Geld und Einfluss verfügen und so die Strafverfahren
derart verkomplizieren, dass die Justiz nicht in der Lage ist, den
vollständigen Sachverhalt aufzuklären. Auch in der aktuellen
Finanzmarktkrise ist zu befürchten, dass viele Täter aus der
Bankenwelt und deren Aufseher aus der Politik für die von Ihnen
verursachten Schäden nicht mit ihrem privaten Vermögen haften
müssen. Trotz offenkundig kriminellen Treibens vor dem Hintergrund
von Betrug und Untreue werden die Täter meist nicht einmal
angeklagt. Es droht eine Zwei-Klassen-Justiz in Deutschland, bei der
Wirtschaftskriminelle im Verbund mit und unter dem Schutz von
Politikern weite Teile der Bevölkerung ausplündern
können, ohne Strafe fürchten zu müssen.
Eine wesentliche Ursache dafür
ist die Abhängigkeit der Richter und Staatsanwälte von der
Politik. Die wichtigsten Formen der Abhängigkeit wurden oben
aufgezeigt, ebenso die Unwilligkeit der Politik, daran etwas zu
ändern. Der Deutsche Richterbund sieht darin den Grund für
nicht aufzuklärende „Regierungskriminalität“ in Deutschland.
Besonders hervorzuheben ist die Weigerung der amtierenden
Bundesjustizministerin, ihren eigenen Ansichten zu folgen und die
Vorgaben des Europarates zu erfüllen. Im Gegenteil, mit der
Dealjustiz wurden Instrumente geschaffen, die den Weg Deutschlands in
eine Bananenrepublik formal absichern. Die Dealjustiz gefährdet
nicht nur das Ansehen der Justiz, sondern gefährdet die Grundlagen
einer Demokratie.
Die zahlreichen Abhängigkeiten
der Justiz erhöhen das Risiko von Korruption. Die
Wirtschaftswissenschaftler Stefan Voigt und Lorenz Blume analysierten
2005 die Ursachen und Folgen korrupter Justizbehörden in
umfangreichen Regressionsstudien über viele Länder. Ihre
Empfehlungen lauten:
1. Verbesserung der
Einkommen von Richtern und Staatsanwälten
2. Reduktion von
„prozeduralem Justizformalismus“, d. h. Abbau von Komplexität im
System der Rechtsdurchsetzung
3. Verkürzung der
Entscheidungsdauern von Gerichtsprozessen, d. h. Verkürzung der
Zeit, die für ein rechtskräftiges Urteil benötigt wird
4. Abschaffung des
Anklagemonopols von Staatsanwaltschaften.
·
Anne van
Aaken, Lars P. Feld, Stefan Voigt:
“Power Over
Prosecutors Corrupts Politicians: Cross Country Evidence
Using a New Indicator”, abrufbar mit Stand März 2008 als CESifo Working Paper Series No. 2245, MACIE Discussion Paper No. 0208 U. of St. Gallen Law & Economics Working
Paper No. 2008-06 unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1097675
aktualisiert unter dem Titel “Do Independent Prosecutors Deter
Political Corruption? An Empirical Evaluation Across Seventy-Eight
Countries” in der Zeitschrift “American Law and Economics Review”, Vol.
12, Issue 1, pp. 204-244, 2010 unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1593920##
als Powerpoint-Präsentation unter http://siteresources.worldbank.org/INTLAWJUSTINST/Resources/PoweroverProsecutorsCorruptsPoliticians.ppt
·
http:///www.gewaltenteilung.de
dort besonders die Beiträge von Paulus van Husen, Georg August
Zinn und Karl Jaspers. Neuere Formen der Abhängigkeit finden sich
unter den Schlagworten „Neue Steuerungsmodelle“ bei Udo Hochschild und
„Mediation“ bei Michael Krämer und Klaus Lindner. Einen
chronologischen Überblick über die vielen Beiträge auf
der Homepage Gewaltenteilung.de liefert http://www.gewaltenteilung.de/beitraege.htm.
·
Ruth Kunz:
Vertrauen in die Justiz – Der Einfluss institutioneller
Unabhängigkeit, 82 Seiten
Working Paper No. 28, National Centre of Competence in Research (NCCR),
Challenges to democracy in the 21st Century
Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich,
Juni 2009
online abrufbar unter http://www.nccr-democracy.uzh.ch/publications/workingpaper/pdf/WP28.pdf
·
Winfried
Maier:
der Vortrag von der Speyerer Demokratietagung am 24./25.10.2002, der
sich online abrufen lässt unter http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/30.90.01MaierSpeyer02-10-05.pdf,
findet sich etwas ausführlicher in dem Artikel „Wie unabhängig sind Staatsanwälte in
Deutschland?“ von Dr. Winfried Maier in der Zeitschrift für
Rechtspolitik (ZRP) 2003, Seite 387-391.
Weitere Details zur
Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwälte finden sich im
Minderheitenbericht von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen zum
sogenannten Schreiber-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag vom
18.7.2002 unter http://www.spd-landtag.de/downl/020718UAMinder.pdf.
·
Stefan Voigt, Lorenz Blume:
Wenn Justitia die Hand aufhält – Ursachen und Folgen korrupter
Justizbehörden
27 Seiten, German Working Papers in Law and Economics, Volume 2005,
Paper 19
online abrufbar unter http://www.bepress.com/cgi/viewcontent.cgi?article=1133&context=gwp
in leicht erweiterter Fassung in der Zeitschrift „Perspektiven der
Wirtschaftspolitik“, Volume 8 Issue 1, Seite 65 – 92, 2007